„Verbrennerverbot greift zu kurz – auf den richtigen Mix der Technologien kommt es an“
Die Uhr tickt: Für den Verkehrssektor scheint das Ziel des „Green Deal“ der Europäischen Union, spätestens ab 2050 netto keine Treibhausgase (THG) mehr auszustoßen, in weiter Ferne zu liegen. „Die Zeit drängt, weil der Status quo dazu führt, dass sich die Gesamtemissionen weiter kumulieren. Auch wenn wir jetzt Entscheidungen treffen, neue Technologien breit auszurollen, können wir die Früchte frühestens in zehn bis 15 Jahren ernten“, sagt Dr. David Bothe, Director der Wirtschaftsberatung Frontier Economics. Im Rahmen des 10. Internationalen Motorenkongresses stellt er gemeinsam mit weiteren Autoren eine aktuelle Studie vor, die sich mit Wegen zu einer nachhaltigen Klimaneutralität im Verkehrssektor befasst.
Dr. Bothe wünscht sich in der öffentlichen Diskussion insbesondere eine differenziertere Betrachtung statt plakativer Schwarz-Weiß-Bewertungen. „Es gibt keine guten und schlechten Technologien. In der Praxis spielen stattdessen eine Vielzahl an Schattierungen eine Rolle, tatsächlich kann jede Technologie ihren jeweils wichtigen Beitrag zur Klimaneutralität leisten.“ Mit zahlreichen Studien habe sich die Faktengrundlage über die vergangenen Jahre hinweg sukzessive deutlich verbessert. Die aktuelle Studie „FVV Future Fuels Study IVb“ (2022), die Frontier Economics im Auftrag der Forschungsvereinigung Verbrennungskraftmaschinen e.V. (FVV) erstellt hat, stellt dabei nach Dr. Bothes Worten einen Meilenstein dar.
Elf Antriebstechnologien untersucht
Der modellbasierte Ansatz untersucht elf THG-neutrale Antriebspfade, mitunter batterieelektrische Fahrzeuge, Plug-in-Hybride und Fahrzeuge, die mit klimaneutralen E-Fuels (e-Benzin, e-Diesel, e-Methan) und grünem Wasserstoff (in Brennstoffzellenfahrzeugen sowie in Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor) betrieben werden. „Die Studie analysiert faktenbezogen und losgelöst von politischen Fragen, wie, ob und wann sich europaweit eine 100-prozentige Klimaneutralität im Verkehrssektor erzielen lässt, und hat dazu verschiedene Optionen getestet. Was können die verschiedenen Technologien jeweils leisten und was nicht? Was ist ideologiefrei technisch machbar, wo liegen Grenzen?“, so Dr. Bothe. Dabei berücksichtigt die Studie explizit die gesamten verkehrsbedingten Emissionen entlang der Wertschöpfungskette, über den Lebenszyklus des Fahrzeugs hinweg (sog. Life Cycle Assessment – LCA) inklusive der Gesamtkette der Energiebereitstellung („Well-to-Wheel“).
Technologie-Mix beschleunigt den Weg zur Klimaneutralität
Das Resultat auf einen Nenner gebracht: „Der Mix aller zur Verfügung stehenden Technologien führt am schnellsten dazu, CO2-neutral zu werden. Dabei geht es nicht um Nuancen, sondern um viele Jahre, die wir schneller werden können“, unterstreicht Dr. Bothe: „Wir erwarten für die Zukunft sowohl batterieelektrische Antriebe, Wasserstoff-Technologien als auch einen erheblichen Anteil an synthetischen Kohlenwasserstoffen, die Vorteile sowohl für die vorhandene Fahrzeugflotte wie auch die nachfolgende Ersatzflotte bieten.“
Energieversorgung wird zum Nadelöhr
Die alleinige Konzentration auf batterieelektrische Antriebe sei schon deshalb in Frage zu stellen, da man sich damit alleinig vom Ausbau der Strominfrastruktur abhängig mache – obwohl die Energiewirtschaft gerade dabei mit enormen Herausforderungen zu kämpfen habe. Insbesondere der erforderliche Ausbau des Stromtransportnetzes und die erreichbare Ausbaugeschwindigkeit werde signifikant unterschätzt. Dr. Bothe: „Die zuverlässige Energieversorgung in entsprechenden Größenordnungen ist das Nadelöhr für jede nachhaltige Antriebsart, daher ist es eine äußerst riskante Strategie, alles nur auf eine Karte zu setzen.“
Ausstieg aus fossilen Energieträgern
Ein Technologiemix kann stattdessen für den Hochlauf THG-neutraler Antriebe erhebliche Vorteile bringen, so die Studie. Und weiter: Entscheidend für die Minimierung der THG-Emissionen ist nicht die Wahl des klimaneutralen Technologiepfades an sich, sondern der schnellstmögliche Ausstieg aus fossilen Energieträgern. Dazu müssen Infrastruktur- und Rohstoffengpässe rasch behoben werden. Hohe Hochlaufgeschwindigkeiten sind nur mit einem sinnvollen Technologiemix zu erreichen.
Dabei bedauert es Dr. Bothe ausdrücklich, dass sich einige Automobilhersteller auf nur eine Technologie wie den batterieelektrischen Antrieb fokussieren: „Aus unternehmerischer, betriebswirtschaftlicher Sicht mag das sinnvoll sein. Aus ökonomischer, gesamtwirtschaftlicher Sicht verlieren wir damit jedoch wertvolle Optionen. Mich wundert es, dass einige OEMs Technologieoffenheit nicht als Chance begreifen – denn klar ist, dass wir alle Technologien in Zukunft benötigen werden, im globalen Maßstab ohnehin. Wer sich nur auf eine Technologie beschränkt, kann in Zukunft auch nur einen kleinen Teil der Lösung liefern.“
Ohne Verbrenner wird es deutlich teurer
Auf Basis der Studienergebnisse zeigt sich Dr. Bothe sicher, dass der Verbrennungsmotor noch viele Jahre unverzichtbar bleibe. „Der EU-Beschluss des sogenannten Verbrennerverbotes wird so nicht aufrecht zu erhalten sein – es sei denn, es gibt bis 2035 einen Quantensprung in der Energieversorgung und der dafür notwendigen Infrastruktur. In vielen Regionen der Welt werden Verbrenner noch lange von großer Bedeutung sein.“ Die Studie stellt dazu eine bemerkenswerte Modellierung dar: Zwar ließe sich eine Defossilisierung des Straßenverkehrssektors ohne Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor erreichen, allerdings bei weitem nicht bis 2050. Trotz einer im Jahr 2050 noch nicht erreichten Klimaneutralität wären die kumulierten Emissionen und Gesamtkosten bis zu diesem Zeitpunkt gegenüber dem technologieneutralen Mix bereits deutlich erhöht.
Dr. Bothe: „Der Verbrenner muss und wird nicht auf die nächsten 100 Jahre das Maß aller Dinge sein. Aber aus meiner Sicht sollte das nicht regulativ vorgeschrieben werden, stattdessen werden der Markt und die Konsumenten die weitere Entwicklung regeln.“ Ein gewisser Flurschaden ist nach Worten des Experten schon jetzt entstanden, weil das Optimierungspotenzial, das noch im Verbrenner steckt, aktuell gar nicht mehr gehoben wird und bereits signifikant Entwicklungskapazitäten abgebaut wurden.
E-Fuels eröffnen klimaneutrale Perspektiven für den Bestand
Die Studie macht darüber hinaus deutlich, dass E-Fuels die technologische Option für den klimaneutralen Betrieb der Bestandsflotte eröffnen: „Rückwärtskompatible Kraftstoffe wie synthetisches Benzin und synthetischer Diesel (zum Beispiel über Methanol-to-Gasoline- und Fischer-Tropsch-Herstellungspfade) ermöglichen eine schnelle Defossilisierung der bestehenden Flotte, sobald diese in großem Maßstab verfügbar sind“, heißt es dazu. Trotz der langen Vorlaufzeiten und Planungshorizonte für die Errichtung der notwendigen Syntheseanlagen könnten E-Fuels daher die THG-Reduktion deutlich beschleunigen. Zudem empfiehlt die Studie, auch den Lastkraftverkehr und schwere Nutzfahrzeuge nicht aus dem Blick zu verlieren: Während dieses Segment nur zwei Prozent des EU-Fahrzeugbestands ausmacht, ist es für circa 45 Prozent des heutigen Gesamtkraftstoffverbrauchs verantwortlich. Hier verbirgt sich somit enormes Potenzial für die Einsparung von Treibhausgasemissionen durch eine Umstellung auf THG-neutrale Antriebe.
Weitere Details der aktuellen FVV-Studie wird Dr. Bothe gemeinsam mit Dr. Ulrich Kramer im Rahmen des 10. Internationalen Motorenkongresses am 28. Februar und 1. März in Baden-Baden vorstellen: Kann der Verkehrssektor die Pariser Klimaziele noch erfüllen? Und wie können Strategien für einen CO2-optimalen Antriebsmix aussehen? Die Kongressbesucher können auf aufschlussreiche und pointierte Aussagen gespannt sein.