Herr Krieger, Ihre Keynote trägt den Titel: „Senkung der CO2-Emissionen im Verkehr. Nutzen wir alle Lösungen?“ Ohne den Vortrag vorwegzunehmen – wie lautet Ihre Antwort?
Benjamin Krieger: Nein, leider nicht! Wichtig ist es mir zu betonen, dass die Automobilzulieferer, die wir als CLEPA vertreten, 100-prozentig hinter dem Ziel stehen, die CO2-Emissionen im Mobilitätsbereich zu verringern und langfristig Klimaneutralität zu erreichen. Die Emissionsreduzierung betrifft die Nutzungsphase der Fahrzeuge genauso wie die Produktion.
Selbstverständlich muss und wird Elektrifizierung in der Nutzungsphase eine wichtige Rolle auf diesem Weg spielen. Wir sehen zahlreiche Anwendungsfälle, in denen Elektrifizierung die bessere technische Alternative sein kann. Genauso gibt es aber auch viele Anwendungen, bei denen möglicherweise die Elektrifizierung noch nicht oder womöglich gar nicht die geeignete Lösung ist. Doch mit der alleinigen Fokussierung auf den batterieelektrischen Antrieb bleiben aus meiner Sicht leider viele Chancen zur Erreichung der Klimaziele ungenutzt.
Welches Vorgehen würden Sie sich stattdessen wünschen?
Benjamin Krieger: Um herauszufinden, was wirtschaftlich funktioniert, verfügen wir über ein sehr gutes Instrument, das in den vergangenen Jahrzehnten wertvolle Dienste geleistet hat: das Zusammenspiel zwischen den Nutzern der Mobilitätslösungen und denen, welche die Technik zur Verfügung stellen. Dem Markt wird aktuell jedoch viel zu wenig vertraut.
Natürlich müssen die Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, damit sich die neuen Technologien durchsetzen können, die uns dabei helfen, CO2-Emissionen aus der Produktion der Fahrzeuge und aus dem Mobilitätssektor zu senken und zu eliminieren. Dazu benötigen wir bei der Elektrifizierung die notwendige Infrastruktur – und wir brauchen insbesondere grünen Strom in ausreichendem Maße und sicherer Verfügbarkeit, was leichter gesagt als getan ist.
Daher ist es legitim und sinnvoll zu überlegen, welche weiteren technischen Möglichkeiten die Elektrifizierung komplettieren können, etwa E-Fuels und Bio-Fuels. Wichtig ist es aus meiner Sicht, diese Optionen politisch nicht grundsätzlich auszuschließen. Doch genau das machen wir leider mit dem jetzigen Weg. Wir verfolgen für Pkw das 100-Prozent-Ziel bis 2035, also das Ende des Verbrennungsmotors. Im Zuge der Regularien wird ausschließlich gemessen, was am Auspuff rauskommt – ganz egal, ob es sich um zusätzliche CO2-Emissionen handelt oder das CO2 netto im Kreislauf unterwegs ist.
Welche Erwartungen haben Sie an den Antrieb im Pkw von morgen?
Benjamin Krieger: Insbesondere im Pkw-Segment bewegen wir uns derzeit auf einem sehr engen technologischen Pfad. Erlaubt ist Elektrifizierung, entweder mit der Batterie oder mit der Brennstoffzelle. Bei beiden Technologien stehen wir allerdings großen Fragen gegenüber, zum einen was den Ausbau der notwendigen Infrastruktur angeht, zum anderen was die Verfügbarkeit von Rohstoffen für die Batteriezellen betrifft.
In den vergangenen Jahren haben wir eine sehr intensive und wichtige Diskussion über die strategische Bedeutung von Lieferketten geführt und festgestellt, dass die Abhängigkeit oder das Verlassen auf einige wenige wichtige Lieferanten ein großes Risiko bedeuten kann. Wenn wir uns anschauen, woher die Rohstoffe für Batterien oder, wenn wir ehrlich sind, der Großteil der Batteriezellen stammen, dann ist dies vor allem China. Wäre es nicht angemessen, sich zu fragen, wie wir uns weitere Optionen beispielsweise mit Wasserstoff und erneuerbaren Kraftstoffen schaffen können?
Überwiegen Ihrer Meinung nach die Chancen oder die Risiken auf dem derzeitigen Weg der Elektrifizierung der Mobilität? Welche Auswirkungen ergeben sich für die europäischen Volkswirtschaften, für die Zulieferer und für den Arbeitsmarkt?
Benjamin Krieger: Ich bin selbst kein Volkswirtschaftler, habe aber viele Meinungen von Volkswirtschaftlern dazu gelesen. Sie sagen: Wenn wir regulatorisch sehr enge Vorgaben machen und sehr wenig dem Markt überlassen, besteht ein großes Risiko, dass die dann entstehenden Lösungen nicht die effizientesten sein werden. Anders gesagt: Dieser Weg droht teurer zu werden als nötig – und das werden am Ende die Bürger bezahlen müssen.
Eine in unserem Auftrag erstellte Studie kam zu dem Ergebnis, dass bis zum Jahr 2040 in der europäischen Automobilzulieferindustrie bis zu 500.000 Arbeitsplätze wegfallen könnten. Selbst wenn es gelingt, eine hohe Fertigungstiefe bei den Batteriezellen in Europa zu etablieren, wären immer noch 276.000 Arbeitsplätze betroffen.
Als CLEPA bekennen wir uns eindeutig zum europäischen Standort. Aber klar ist auch: Es wird immer schwieriger. Eine aktuelle Herausforderung für die Zulieferindustrie ist es, dass sowohl Margen als auch Volumina immer kleiner werden. Daher braucht es mehr Unterstützung – ausdrücklich nicht nur finanzieller Art –, um die notwendigen Investitionen für die Transformation stemmen zu können, um zu forschen und zu entwickeln und um in Europa wettbewerbsfähig zu agieren.
Technologieverbote helfen uns dabei nicht – stattdessen wünschen wir uns mehr Technologieoffenheit von politischer Seite und deutlich mehr Flexibilität. Das zentrale Ziel bleibt dabei, CO2-Emissionen zu reduzieren – egal ob mit grünem Strom oder dank erneuerbarer Kraftstoffe.
Welche Chancen messen Sie E-Fuels und Wasserstofftechnologien bei? Und was würden Sie kritischen Stimmen entgegnen, die sagen, dass diese Technologien ohnehin keine Chance hätten?
Benjamin Krieger: Wenn man davon ausgeht, dass niemand die Technologien nutzen würde, dann müsste man sie auch nicht gesetzlich verbieten. Wenn man stattdessen Technologieoffenheit zulässt und politisch fördert, würde man schon sehen, welcher Weg sich wirtschaftlich als erfolgreich erweist – oder eben auch nicht. Damit würden wir keinerlei Risiken eingehen, niemand würde zu irgendetwas verpflichtet werden.
Das beste Beispiel dafür sind erneuerbare Kraftstoffe: Mit einem sukzessiv ansteigenden Anteil der Beimischung hätten wir die Chance, CO2-Emissionen selbst in der existierenden Flotte zu senken. Wenn es um effektive Wege zur Klimaneutralität geht, sollten wir diese Potenziale meines Erachtens nicht ungenutzt lassen.
Wie viel Zukunft wird der Verbrennungsmotor noch haben?
Benjamin Krieger: Gegenwärtig ist die gesetzliche Lage klar. Ob diese sich in den kommenden Jahren ändert und was mögliche Reviews auf EU-Ebene ergeben werden, bleibt abzuwarten.
Für mich steht fest: Alles, was dazu führt, dass Emissionen sinken, sollte auch konsequent genutzt werden. Gleichzeitig brauchen wir Mobilität auch in Zukunft, allein schon zur Versorgung der Bevölkerung. Sicherlich wird sich ein Teil der Lkw-Verkehre elektrifizieren lassen – aber längst nicht alle. Erfreulicherweise hat das auch die EU-Kommission erkannt und die CO2-Standards für schwere Nutzfahrzeuge etwas offener definiert als für Pkw.
Diversität bei den Antriebstechnologien wäre nicht nur im Nutzfahrzeug, sondern auch für Pkw wünschenswert. Die in der CLEPA organisierten Zulieferer bedienen alle Technologien – selbstverständlich auch für batterieelektrische Fahrzeuge. Wenn wir das bekannte Kapazitätsproblem bei der Batteriezellenfertigung einmal außer Acht lassen, können wir alle weiteren Technologien, die man für ein E-Auto braucht, aus europäischer Fertigung bereitstellen, egal ob Elektronik, Thermomanagement oder Batteriemanagement. Aus gutem Grund steckt in Elektrofahrzeugen weltweit eine Menge europäischer Technologie.
Allerdings habe ich das Gefühl, dass wir uns ausschließlich noch mit Themen der Elektrifizierung beschäftigen. Stattdessen sollten wir wieder viel stärker das eigentliche Ziel in den Fokus nehmen, auch für die Bestandsflotten. Und dieses Ziel lautet, eine zügige und effiziente CO2-Reduktion zu erreichen.