Methanol – das „Öl“ von morgen?

Prof. Frank Atzler plädiert für klaren Fokus auf Wasserstoffwirtschaft und E-Fuels – nicht nur für Bestandsflotten

Über „Chancen und Herausforderungen von E-Fuels in Maß und Zahl“ wird Prof. Dr.-Ing. Frank Atzler, Inhaber der Professur Verbrennungsmotoren und Antriebstechnik an der TU Dresden, in seiner Keynote beim 12. Internationalen Motorenkongress sprechen. Der Verfechter alternativer Kraftstoffe und eines technologieoffenen Wegs bei der Defossilisierung des Verkehrssektors beantwortet im Vorfeld der renommierten Veranstaltung unsere Fragen.
 

Herr Prof. Atzler, wie schätzen Sie die Zukunft einer nachhaltigen Energieversorgung ein?

Prof. Atzler: Kein Zweifel: Wenn wir es wirklich ernst meinen mit der Energiewende, wird die Zukunft elektrisch geprägt sein. Da wir in Deutschland nach meiner Erwartung auch im Jahr 2050 mit heimischer Wind- und Sonnenenergie nicht vollständig autark sein können, braucht es also zukunftsfähige Lösungen, um unseren Importbedarf effizient und sicher abzudecken. Allerdings sind die Speicherung und der Transport von Elektrizität über weite Distanzen – also im globalen Maßstab des Welthandels – nicht billig, robust und einfach. Deshalb wird in Zukunft ein Lösungsweg darin bestehen, Wasserstoff aus Ökostrom zu elektrolysieren.
 

Aber ist nicht Wasserstoff ebenso herausfordernd hinsichtlich der Speicherung und des Transportes über weite Distanzen hinweg?

Prof. Atzler: In der Tat! Wasserstoff weist eine sehr geringe volumetrische Energiedichte auf und erfordert eine komplexe Handhabung mit einer permanenten Kühlung auf –253°C oder einer Komprimierung auf 350 bis 700 bar. Vor diesem Hintergrund läuft es aus meiner Sicht darauf hinaus, im großen, industriellen Maßstab E-Fuels aus grünem Wasserstoff und recyceltem CO2 herzustellen. Da verschiedene wissenschaftliche und technische Argumente gegen die Nutzung von Ammoniak in großen Dimensionen sprechen, bietet es sich vor allem an, Methanol zu synthetisieren. Es ist flüssig bei Umgebungstemperatur und -druck, viel weniger giftig als Ammoniak oder Benzin und lässt sich sehr gut transportieren. Somit könnte Methanol im übertragenen Sinne das Öl eines neuen grünen Weltenergiehandels werden – neben dem Handel mit H2, CO2 und in Teilen auch Ammoniak, zum Beispiel für Kunstdünger.
 

Was spricht für Methanol als das „neue Öl“?

Prof. Atzler: Methanol vereint viele vorteilhafte Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten in sich. Es ermöglicht die robuste, kostengünstige und skalierbare Speicherung unter anderem für Phasen der „Dunkelflaute“, wie wir sie in den vergangenen Wochen wiederholt in Deutschland erlebt haben. Gleichzeitig kann Methanol als geostrategische Energiereserve dienen. Und vor allem: Es kann zu EN228 (und EN590) verarbeitet werden, um die bestehende Fahrzeugflotte zu defossilisieren. Da nämlich eine Rückumwandlung von Methanol in Wasserstoff nicht wirtschaftlich erscheint, ist eine direkte Nutzung der Energieträger zu präferieren.
 

Sie plädieren seit geraumer Zeit dafür, sich intensiver mit der Herstellung von E-Fuels in industriellen Dimensionen zu befassen. Welche Argumente geben dafür den Ausschlag?

Prof. Atzler: E-Fuels stellen eine große Chance für die europäischen Volkswirtschaften und insbesondere für die deutschen Wirtschaft dar, um dauerhaft wettbewerbsfähig bleiben zu können. Dabei denke ich naturgemäß in erster Linie an den Automobilbau, aber auch der Luft- und der Seeverkehr benötigen zukunftsfähige, transportable, gut speicherbare und in ausreichenden Dimensionen verfügbare alternative Kraftstoffe. E-Fuels können somit langfristige Perspektiven für sichere, nachhaltige und saubere Energie schaffen.
 

Warum sind aus Ihrer Sicht E-Fuels erforderlich, um den Wandel der individuellen Mobilität zu meistern?

Prof. Atzler: Ganz einfach: Wir dürfen die Bestandsflotten nicht aus dem Blick verlieren. Verschiedene wissenschaftliche Arbeiten wie etwa die FVV-Studie zeigen überdeutlich, dass wir Lösungen für die vorhandenen Fahrzeuge benötigen – sonst wären die angestrebten Klimaziele im Verkehr bis 2035 nicht ansatzweise zu erreichen. Bei der Defossilisierung der Altflotte sprechen wir allein in Deutschland von circa 50 Millionen Fahrzeugen – und über einer Milliarde Fahrzeugen weltweit.

E-Fuels können also einen entscheidenden Beitrag leisten, den Treibhausgas-Ausstoß zu begrenzen, indem sich die Bestandsflotten in kürzester Zeit auf einen defossilisierten Kraftstoff umstellen lassen. Hinzu kommen weitere Vorteile: Vorhandene Infrastrukturen wie die Tankstellennetze lassen sich mühelos weiternutzen, zudem stellen E-Fuels eine attraktive Lösung dar, um ganz allgemein Energie speichern und über weite Distanzen transportieren zu können.
 

Was entgegnen Sie Kritikern, die sagen, E-Fuels seien viel zu teuer in der Herstellung?

Prof. Atzler: Die aktuellen Kosten zur Herstellung von E-Fuels sind naturgemäß nicht ansatzweise vergleichbar mit den Dimensionen, die wir bei einer industriellen Produktion erreichen können. Zwar bestehen bekanntermaßen schon relativ große Pilotanlagen, zum Beispiel an der TU Bergakademie in Freiberg, doch der Schritt von Pilotanlagen zur großindustriellen Produktion wird nochmals erheblich sein. Zudem kommt es darauf an – Stichwort Energieimporte – die E-Fuels in Teilen der Welt mit hoher Solar- und/oder Windausbeute zu produzieren, etwa in Patagonien oder Australien. Dann werden auch die Preise sinken!
 

Welche Preiskorridore für einen Liter E-Fuel wären erzielbar?

Prof. Atzler: Dazu gibt es verschiedene wissenschaftliche Arbeiten, die allesamt zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Auch in meinen eigenen Berechnungen komme ich zu dem Schluss, dass es mittelfristig möglich sein wird, einen Liter E-Fuel für weniger als einen Euro herzustellen.

Die weitere Preisgestaltung ist in erster Linie eine Frage der Besteuerung und der gewünschten Gewinne – nicht vordergründig der Produktkosten. Wenn E-Fuels fossile Brennstoffe ersetzen sollen, müssen sie zum gleichen Verkaufspreis, eher noch günstiger angeboten werden. Und das ist aus meiner Sicht möglich. Es muss aber auch politisch gewollt sein!
 

Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter und vor allem kostspieliger Weg, oder?

Prof. Atzler: Ohne Zweifel werden die Investitionen in das „neue grüne Weltenergiesystem“ enorm sein – doch sie werden sich mittelfristig auszahlen. Das zukünftige System erneuerbarer Energien muss nicht unbedingt teurer sein als das heutige System und bietet außerdem enorme Chancen, den Wohlstand in Europa zu erhalten. Zeitlich gesehen ist völlig klar, dass wir noch einige Engstellen zu überwinden haben.
 

Wenn dies möglich ist – warum machen wir es dann nicht?

Prof. Atzler: Bekanntlich hat sich die EU für einen anderen Weg, nämlich für die Konzentration auf batterieelektrische Fahrzeuge entschieden. Zwar lässt sich einwenden, dass die erzielten Fortschritte bei der elektrischen Mobilität und der Batterietechnik ohne diese restriktive Politik nicht so schnell eingetreten wären. Doch gleichzeitig beobachten wir, wie dieser Weg die gesamte Branche in Schieflage bringt.

Hinzu kommt ohne Frage, dass der Verbrennungsmotor im Allgemeinen und der Diesel im Besonderen seit der sogenannten Dieselkrise ab 2015 regelrecht verteufelt werden. Aus meiner Sicht geschieht dies zu Unrecht! Stattdessen sollte die bestehende Motorentechnologie zu höchsten Wirkungsgraden weiterentwickelt werden. Heute zeigen uns chinesische Entwickler, wie viel Effizienzpotenzial noch im Verbrenner, erst recht bei hybridisierten Konzepten, steckt. Auch wir können Verbrennungsmotoren mit einem Wirkungsgrad von 45 Prozent entwickeln. Damit wäre allen geholfen: der Umwelt, der Industrie und vor allem auch den Verbrauchern.
 

Was würden Sie sich vor diesem Hintergrund von der Politik wünschen?

Prof. Atzler: Als Allererstes benötigen wir ein grundsätzliches Umdenken, eine Akzeptanz gegenüber den verschiedenen sinnvollen Pfaden zur Defossilisierung des Verkehrs. Dann benötigen wir eine gesetzliche Anerkennung der CO2-Neutralität von E-Fuels um Investitionssicherheit herzustellen. Als Nächstes eine Zukunft für hocheffiziente Verbrennungsmotorkonzepte auch über das Jahr 2035 hinaus. Nicht Nennleistung, sondern Minimalverbrauch muss die Maxime sein! Und dann braucht es große gemeinsame Anstrengungen, bei der Herstellung von E-Fuels in großindustrielle Maßstäbe vorzustoßen.
 

Wie realistisch ist dieses Szenario für Sie?

Prof. Atzler: Global betrachtet bin ich mir sicher, dass der Weg zu E-Fuels weiterverfolgt und intensiviert wird. Zudem hoffe ich, dass wir im Jahr 2025 auch in Europa zu fakten- und vernunftorientierten Weichenstellungen kommen – weg von einer dogmatischen Gegnerschaft zum Verbrennungsmotor, hin zu einer neuen Technologievernunft und dem Ziel, gemeinsam möglichst schnell und effizient die Defossilisierung im Verkehrssektor voranzubringen.

Quelle: privat

Prof. Dr.-Ing. Frank Atzler ist Keynote-Speaker beim 12. Internationalen Motorenkongress und Inhaber der Professur Verbrennungsmotoren und Antriebstechnik an der TU Dresden.