Für eine nachhaltige CO2-Reduktion braucht es mehr Lösungsoffenheit
Über klimagerechte Antriebskonzepte der Zukunft diskutiert der 10. Internationale Motoren-Kongresses am 28. Februar und 1. März 2023 in Baden-Baden. Mehr Lösungsoffenheit sowie mehr Investitionen in die Erforschung und Entwicklung neuer Energieträger fordert Professor Dr. Uwe Dieter Grebe, Geschäftsführer der AVL List GmbH und Mitglied des Programmbeirates Pkw-Motorentechnologie. Im Interview blickt er vorab auf die inhaltlichen Schwerpunkte des renommierten Kongresses.
Herr Prof. Grebe, wie viel Zukunft hat der Verbrennungsmotor noch?
Prof. Grebe: Für die Verbrennertechnologie sehe ich grundsätzlich Potenzial über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg. Allerdings ist dies differenziert zu betrachten, abhängig von den Anwendungsfällen ebenso wie von gesetzlichen Regularien in den verschiedenen Teilen der Welt.
In der Mobilität mit leichten Fahrzeugen werden elektrifizierte Antriebe sicherlich in Zukunft einen großen Teil der Fahrzeugflotten darstellen. Anders sieht es beispielsweise in Langstreckenanwendungen sowie im Nutzfahrzeugbereich aus. Und noch viel mehr Berechtigung hat der Verbrennungsmotor auch zukünftig bei Baumaschinen und Landmaschinen, die an wechselnden Einsatzorten genutzt werden und bei denen das Verhältnis Betriebszeiten zu Ladezeiten eine besondere Rolle spielt. Es wird kaum möglich sein, zum Beispiel für einen Mähdrescher dezentral diverse Lademöglichkeiten auf weitläufigen landwirtschaftlichen Flächen vorzuhalten.
Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die EU-Regularien?
Mit dem De-facto-Verbrennerverbot und der vollständigen Ausrichtung auf Elektromobilität steht die EU weltweit allein da – auch wenn es zugegebenermaßen ein Hintertürchen für Verbrennerfahrzeuge gibt, wenn sie mit E-Fuels oder synthetischen Kraftstoffen als Energieträger betrieben werden können.
Umso auffälliger angesichts der EU-Regularien ist es beispielsweise, dass der global weitaus größte Markt, nämlich China, bislang kein Enddatum des Verbrenners definiert hat. Zwar liegt auch dort ein klarer und starker Fokus auf der Elektromobilität. Doch daneben wird wissenschaftlich sehr intensiv diskutiert, wie ein sinnvoller Antriebsmix der Zukunft aussehen kann. Dazu können auch Hybrid-Fahrzeuge und somit wiederum Verbrennungsmotoren gehören.
Wenn wir uns weltweit weiter umschauen, sehen wir, dass Japan wiederum den Fokus klar auf die Life-Cycle-Analysis legt, statt auf die Tank-to-wheel-Betrachtung, wie sie in Europa nach wie vor üblich ist. Ich bin überzeugt: Die singuläre Ausrichtung, wie sie die EU verfolgt, ist nicht der beste Weg, um schnellstmögliche CO2-Reduktionen zu erzielen. Stattdessen benötigen wir eine Lösungsoffenheit, weil nur dadurch Innovationen voranzutreiben sind.
Wie ließe sich aus Ihrer Sicht das übergeordnete Ziel der CO2-Rduzierung besser erreichen?
Insbesondere benötigen wir dazu fundierte Lifecycle-Analysen zu verschiedenen Antriebskonzepten. Dabei ist die gesamte Wertschöpfungskette zu betrachten, bis hin zur Produktionskette des Energieträgers. Die CO2-Situation im Verkehr können wir nur verbessern, wenn wir auch das grundsätzliche Energiethema mitbetrachten und an Lösungen arbeiten. Schließlich wächst aufgrund der Elektrifizierung des Antriebs nicht nur der Strombedarf im Mobilitätssektor, auch die produzierende Industrie wie etwa die Stahlerzeugung ist von fossilen Energieträgern auf Klimaneutralität umzustellen. Das sind enorme Herausforderungen, die in der Gesamtheit zu betrachten sind.
Wie können Lösungen dafür aus Ihrer Sicht aussehen?
In den Ländern Mitteleuropas werden wir auf absehbare Zeit nicht energieautark werden können. Daher stellt sich die Frage, wie der Energiehandel der Zukunft strukturiert sein soll: Wie lässt sich Energie aus regenerativen Quellen wandeln und speichern – und wie lässt sich der Energieträger sicher und effizient über weite Strecken transportieren? Ich glaube fest daran, dass man auf diesem Weg zu anderen Lösungen kommen wird, beispielsweise in Richtung einer chemischen Speicherung mit gasförmigen oder flüssigen Kohlenwasserstoffen, die sich transportieren und insbesondere auch lagern lassen.
Noch gar nicht bedacht wird aus meiner Sicht, was etwa die Molekularbiologie an Durchbrüchen bringen kann im Bereich der synthetischen Kraftstoffe. Die Potenziale von Wissenschaft und Forschung auf dem Feld der Biotechnologie werden noch viel zu wenig betrachtet. Die Förderung zur Forschung von Energieträgern sollte viel stärker forciert werden!
Welche Bedeutung können CO2-neutrale Kraftstoffe als Ergänzung zur Elektromobilität erhalten?
Eine sehr große! Schließlich haben wir beim Verbrennungsmotor heute einen Technologiestand erreicht, der sich mit den Vorgaben von Euro 7 auf einem absolut unschädlichen Niveau für die Gesundheit der Menschen sowie für Fauna und Flora bewegt. CO2-Emissionen sind ein anderes Thema – diese hängen aber nicht vom Verbrennungsmotor ab, sondern lassen sich durch andere Energieträger lösen.
Wenn wir uns nun Verbrennungsmotoren mit starker elektrischer Unterstützung als hybridisierte Antriebe vorstellen, eröffnet das gänzlich neue Gestaltungsmöglichkeiten, die nochmalige Wirkungsgradsteigerungen und Emissionsverbesserungen mit sich bringen. Aber auch der elektrische Antriebsstrang, beispielsweise mit Blick auf Thermomanagement und Batterieleistung, ist permanent weiterzuentwickeln. Über diese Themen wird sicherlich im Zuge des 10. Internationalen Motoren-Kongresses zu diskutieren sein.
Ich bin überzeugt, dass wir das tatsächliche Problem der Klimaerwärmung nur angehen können, wenn wir in Forschung und Entwicklung neue Denkrichtungen anstoßen – beispielsweise indem geschlossene Kreisläufe entstehen, in denen für synthetische Kraftstoffe CO2 aus der Umgebungsluft oder aus Industrie- und Kraftwerksemissionen genutzt werden. Diese Kreisläufe sind dringend nötig, um eine echte CO2-Senkung erreichen zu können. Jedenfalls darf es nicht durch politische Vorgaben dazu kommen, dass wir den Verbrennungsmotor und die Potenziale synthetischer Kraftstoffe vernachlässigen.