Flexibel und zuverlässig unter rauen Bedingungen
Nicht nur auf der Straße gewinnen Fahrerassistenzsysteme und Funktionen des (teil-)autonomen Fahrens stark an Bedeutung. Insbesondere auch im Off-Highway-Bereich versprechen sich Anwender davon einen Gewinn an Sicherheit, Effizienz und Komfort. Über zukünftige Standards und technologische Trends wird die Fachwelt im Rahmen des 10. Internationalen VDI-Kongresses ELIV MarketPlace am 15. und 16. November 2022 in Baden-Baden diskutieren. Antworten vorab gibt Stefan Poledna, CTO TTTech Auto.
Herr Poledna, wie weit sind Konzepte aus dem Automobilbereich auch auf den Off-Highway-Markt übertragbar, welche Perspektiven sehen Sie hier?
Stefan Poledna: Wir sehen, dass die Innovationsführer im Off-Highway-Bereich bereits daran arbeiten, Human-Machine-Interface-Konzepte wie Multi-Display-Lösungen, Infotainment und fortgeschrittene Fahrerassistenz-Funktionen (ADAS) aus dem Automotive-Bereich zu übernehmen. Dies führt beispielsweise zu Synergien im Hardware- und Softwarebereich, insbesondere bei den eingesetzten Halbleitern oder Systems on a Chip (SoC), Sensoren und auch dem gesamten Software-Stack.
Was sind die wichtigsten Anforderungen an Zuverlässigkeit, Effizienz und Wirtschaftlichkeit, die autonome Arbeitssysteme zu erfüllen haben?
Stefan Poledna: Arbeitsmaschinen müssen in einer rauen und sich ständig ändernden Umgebung zuverlässig arbeiten können. Dabei führen sie oft Aufgaben aus, welche die höchste Aufmerksamkeit des Bedieners erfordern. Autonome Funktionen können dabei eine große Unterstützung für die Bediener darstellen. Sie führen zu einer deutlichen Arbeitserleichterung, während gleichzeitig die Kontrolle und die endgültige Entscheidungsgewalt beim Maschinenführer verbleibt. Lösungen für den autonomen Betrieb müssen daher absolut zuverlässig und auch selbsterklärend sein.
Die große Vielfalt an unterschiedlichen Arbeitsmaschinen auf dem Markt führt zu einem hohen Bedarf an modularen und flexiblen Lösungen. So lässt sich beispielsweise vermeiden, dass neue Anforderungen an einzelne Sensoren eine vollständige Umstrukturierung der elektronischen Plattform nach sich ziehen. Ein Off-Highway-Maschinenhersteller kann sich derart übertechnisierte Lösungen nicht leisten, wenn er wettbewerbsfähig bleiben möchte.
Es braucht stattdessen modulare und flexible Lösungen, die einen inkrementellen Ansatz ermöglichen. So lassen sich neue Funktionen für den autonomen Betrieb einer Maschine Stück für Stück ergänzen. Das kann den Mehrwert einer Maschine für den Endkunden bei moderaten Kosten deutlich steigern.
Wie groß sind die Potenziale zur Prozessoptimierung (höhere Ernteerträge, geringere Kosten), die Sie für die kommenden Jahre erwarten?
Stefan Poledna: Das Potenzial, den Produktionsprozess effizienter zu gestalten und damit die Kosten zu senken, ist enorm. Darüber hinaus treibt die viel größere Umweltfreundlichkeit die Entwicklung von Funktionen für den autonomen Betrieb voran. Ein Beispiel ist das KI-basierte Sprühen von Pflanzenschutzmitteln: Durch ein optimiertes Besprühen von Pflanzen lässt sich ein möglicher negativer Einfluss auf die Umwelt bei niedrigeren Kosten deutlich reduzieren und gleichzeitig eine höhere Produktqualität erzielen.
Was sind dabei die größten Herausforderungen – sowohl technisch als auch regulatorisch oder kostenseitig?
Stefan Poledna: Als Technologielieferant für den Off-Highway-Markt setzen wir uns mit extrem unterschiedlichen Umweltszenarien auseinander: von Schneenebel bis Brandrauch, von Wüstenstaub bis hin zu Meerwassergischt. Funktionen für den autonomen Betrieb müssen in allen diesen Umgebungen zuverlässig funktionieren. Dafür setzen wir mehrere Sensorausführungen wie beispielsweise LiDAR zusammen mit RGB-Kameras oder Infrarotkameras ein, um die exakt gleichen Funktionsweisen unter völlig unterschiedlichen Bedingungen zu ermöglichen.
Wie können Stakeholder noch besser kooperieren, um die zukünftige Entwicklung hin zu einem autonomen Betrieb im Off-Highway-Segment zu gestalten? Welche Erwartungen haben Sie daran, etwa was die Definition von Standards oder Schnittstellen angeht?
Stefan Poledna: Wir sind der festen Überzeugung, dass eine Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Interessengruppen erforderlich ist, um erschwingliche, zuverlässige und langfristig einsetzbare autonome Arbeitsfunktionen zu entwickeln.
Mit dem Autonomous Operation Cluster, auch AOC genannt, hat TTControl eine Initiative geschaffen, die in diese Richtung geht. Wenn eine Gruppe von Marktführern branchenübergreifend zusammenarbeitet, haben ihre Lösungen deutlich mehr Gewicht, wenn es darum geht, Standards oder Schnittstellen zu definieren. Durch die Kooperation werden die teilnehmenden Maschinenhersteller zudem attraktiver für Zulieferer, beispielsweise aus den Bereichen Sensor und KI-Algorithmen. Mit „The Autonomous“ hat TTTech Auto mit Schlüsselspielern der Automobilindustrie eine Plattform zum Thema Sicherheit, der größten Herausforderungen im Bereich des autonomen Fahrens, geschaffen.
Beim Datensammeln und -aufbereiten sind im Off-Highway-Segment aktuell verschiedenste Lösungen im Einsatz – herstellerseitig, aber auch von öffentlichen Stellen. Wie weit bremst das die Entwicklung ein?
Stefan Poledna: Die qualitativ hochwertige Datenerfassung ist äußerst wichtig, wenn es um maschinelles Sehen und KI geht. So lässt sich der sogenannte GIGO-Effekt (Garbage In, Garbage Out) vermeiden, der besagt, dass eine ungültige oder nicht aussagekräftige Eingabe mit hoher Wahrscheinlichkeit eine ungültige oder nicht aussagekräftige Ausgabe produziert.
Den Off-Highway-Akteuren wird erst seit Kurzem bewusst, wie kritisch und zeitaufwendig eine gute Datenerfassung und Kennzeichnung sind. Neue Infrastrukturen wie Machine Learning Operations (ML Ops), mit denen sich funktionsübergreifende, kooperative und iterative Prozesse der Data Science operationalisieren lassen, sind dafür erforderlich. Zudem braucht es riesige Speicherkapazitäten, die auch entsprechend gewartet werden müssen.
Es ist bereits jetzt klar, dass die Off-Highway-Welt sich hier einiges von der Automobilwelt abschauen kann.
Welche Rolle kann und sollte das AOC (Autonomous Operation Cluster) als marktübergreifende Initiative spielen?
Stefan Poledna: Beim AOC glauben wir, dass ein Know-how- und Erfahrungsaustausch unerlässlich ist, um die Herausforderungen für Off-Highway-Maschinen zu meistern. Das entspricht dem AOC-Motto, das lautet: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“ Eine solche Kooperation erfordert offene und transparente Kommunikation zwischen den Partnern mit wohldefinierten Spielregeln. Das beinhaltet natürlich auch einen angemessenen IP-Schutz und die notwendige Vertraulichkeit.
Die gleichen Regeln gelten auch für neue Mitglieder. Denn da wir uns bewusst sind, dass das AOC noch nicht die Möglichkeiten mitbringt, jede wünschenswerte Lösung zu entwickeln, sind wir offen für die Erfahrung und Vorschläge von weiteren Technologieanbietern. Mit dem AOC bieten wir hochspezialisierten Unternehmen eine ausgezeichnete Möglichkeit, sich mit ihrer Expertise in den Off-Highway-Markt einzubringen.
Im Rahmen des 10. Internationalen VDI-Kongresses ELIV MarketPlace wird es weitere Einblicke in das autonome Fahren im Off-Highway-Bereich geben.