Der Nutzfahrzeugantrieb von morgen:
Technologieoffen und klimaneutral
Welches Konzept macht das Rennen, wenn es um CO2-neutrale Antriebe von morgen geht? Wird es ein einziger Antrieb sein – oder eher ein Mix unterschiedlicher Systeme, die jeweils anwendungsbezogen am sinnvollsten erscheinen? Dr.-Ing. Markus Müller, Technologie- und Vertriebsvorstand der Deutz AG und einer der Top-Redner beim 10. Internationalen Motoren-Kongress plädiert für Technologieoffenheit ohne Scheuklappen: „Ich bin überzeugt, dass es noch völlig offen ist, wie ein klimaneutraler Lkw, Bagger oder Schlepper in Zukunft aussehen wird.“
Unabhängig von der gebotenen Technologieoffenheit sieht Müller insbesondere in der Wasserstoff-Verbrennungstechnologie großes Potenzial, weil sie eine Vielzahl emissionsfreier Anwendungen ermöglicht. „Bei Wasserstoff-Verbrennungsmotoren können wir auf vorhandenes Know-how, vorhandene Technologien und bestehende Produktionsanlagen zurückgreifen. Und auch mit Blick auf die Klimaneutralität punktet der Wasserstoff-Verbrennungsmotor.“ Denn bei der Verwendung von blauem oder grünem H2 entstehen nur geringe oder gar keine CO2-Emissionen. Ebenso verhindert die Abgasnachbehandlung nennenswerte Stickoxid-Emissionen.
Wasserstoff oder Brennstoffzelle im Lkw
Zudem zeigt sich Müller überzeugt, dass der Wasserstoffmotor deutlich früher marktreif sein wird als die Brennstoffzelle. „Ein weiterer Vorteil ist, dass sich mit dieser Technik schneller signifikante CO2-Einsparungen erreichen lassen.“
Aktuell startet etwa Deutz in Pilotprojekten mit einem Genset-Motor, einem Aggregat zur Stromerzeugung. Im nächsten Schritt folgt eine Bahnanwendung. Müller erklärt weiter: „Wenn man berücksichtigt, welche Prozesse ein Serienfahrzeug vor dem Produktionsstart durchlaufen muss, sollte das Jahr 2026 ein realistisches Datum für den ersten Wasserstoffmotor im Lkw sein.“
Überzeugt ist der Entwicklungsvorstand insbesondere von der Effizienz sowie den Wirkungsgraden zukünftiger Wasserstoffantriebe. In der Dieselvariante beispielsweise erreiche ein Deutz-Motor aus 7,8 Litern Hubraum eine Spitzenleistung von 250 Kilowatt. Dr. Müller: „Mit Wasserstoff erreichen wir bereits 220 Kilowatt, und das, obwohl der Wasserstoff nicht direkt in den Zylinder eingeblasen wird. Das gleiche dynamische Verhalten ist auf diesem Weg allerdings nicht zu erreichen. Deshalb entwickeln wir auch eine Variante, die mit direkter Wasserstoffeinblasung in den Zylinder arbeitet.“
Auch der Verbrenner hat noch viel Zukunft
Daneben werde allerdings – insbesondere in Nutzfahrzeuganwendungen – der Verbrennungsmotor noch lange unverzichtbar sein. „Das gilt mindestens für die Übergangszeit auf der Schwelle ins postfossile Zeitalter. Synthetische Kraftstoffe können die Nutzung jedoch weit über diese Zeit hinaus verlängern“, sagt Markus Müller weiter. Zukunftsweisend seien Verbrennungsmotoren, die beispielsweise
auch für Biokraftstoffe beziehungsweise HVO, also hydriertes Pflanzenöl, zertifiziert sind: „Der unkomplizierte Wechsel des Treibstoffs reduziert die CO2-Emissionen sofort, noch dazu bei geringen Kosten“, unterstreicht der Deutz-Vorstand weiter: „Das ist ein nachhaltiger Ansatz, da vorhandene Motoren und Infrastruktur genutzt werden können und keine neuen Investitionen erforderlich sind.“
Der Weg in die Klimaneutralität funktioniert aus Sicht des Deutz-Vorstandes nur, wenn neben grünen Elektronen auch grüne Moleküle, also chemisch gebundene Energie, eingesetzt werde – konkret in Form synthetischer Kraftstoffe. Aus der Luftfahrt und der Schifffahrt kommend, werde es auch auf dem Boden eine Infrastruktur für solche Kraftstoffe geben, so Müller: „Ein Traktor, der heute von einem 450-Kilowatt-Verbrennungsmotor angetrieben wird, verdeutlicht, dass es Maschinen gibt, für die ein batterieelektrischer Antrieb keine Lösung darstellt.“
Heutige Infrastruktur mit Synthetik-Kraftstoffen weiter nutzen
Aus Sicht des Ingenieurs wäre es mehr als sinnvoll, wenn die heutige Tankstelleninfrastruktur genutzt werden könnte, um CO2-freie Kraftstoffe beizumischen, perspektivisch mit einem Anteil von bis zu 100 Prozent. Damit würde die Bestandsflotte unmittelbar einen Beitrag zur CO2-Reduzierung leisten. „Zudem könnten wir für große und schwere Fahrzeuge auf eine existierende Technologie zurückgreifen“, erklärt Müller und nennt gleichzeitig eine Voraussetzung:
Die Kraftstoffe müssten dort erzeugt werden, wo hohe Erntefaktoren
für erneuerbare Energien vorliegen – beispielsweise in Nordafrika, im Mittleren Osten oder in Chile.
„Herausforderungen lassen sich nur global lösen“
Das Argument des Wirkungsgrades synthetischer Kraftstoffe lasse sich schnell widerlegen: „Wenn wir davon ausgehen, dass erneuerbare Energie in ausreichender Menge weltweit vorhanden ist, wäre das Problem global zu lösen.“ Ein Ausschluss einzelner Technologien hingegen sei nicht zielführend. In diesem Zusammenhang erwartet sich Dr. Müller vom 10. Internationalen Motorenkongress einen intensiven Austausch und eine klare Positionierung der gesamten Branche.