Batterieelektrische Antriebe und Wasserstoff sind keine Konkurrenten, sondern ergänzen sich
Die weiter voranschreitende Diversifizierung der Antriebstechnologien, regulierende Eingriffe der Gesetzgeber und die Optimierung der CO2-Flottenverbräuche: Dies sind die inhaltlichen Schwerpunkte des 23. Internationalen VDI-Kongresses Dritev und der parallel stattfindenden 8. Internationalen VDI-Fachtagung „Antriebsstranglösungen für Nutzfahrzeuge“ am 5. und 6. Juli 2023 in Baden-Baden. Dipl.-Ing. (BA) Christian Gropp, Direktor Entwicklung e-Achsen, Achsen und Getriebe, Daimler Truck AG (Stuttgart), wird sich im Rahmen seiner Keynote mit nachhaltigen Antriebslösungen für den Nutzfahrzeugbereich beschäftigen. Erste Einblicke gibt er vorab im Interview.
Herr Gropp, welche Strategie ist aus Ihrer Sicht zielführend, um den Transportbereich perspektivisch klimaneutral darstellen zu können?
Christian Gropp: Neben Kundenerwartungen spielen hier globale Gesetzgebungen, Subventionierungen und Besteuerung von Energieträgern eine große Rolle. Keinesfalls dürfen wir die CO2-Reduzierung des konventionellen Antriebs vernachlässigen, schon aufgrund der Größe der Population an konventionellen Fahrzeugen auch in der zweiten Hälfte dieser Dekade ist das weiterhin hochgradig relevant.
Batterieelektrische Nutzfahrzeuge halte ich für einfache Einsatzprofile mit planbarem Fernverkehr für eine sehr gute Lösung. Das bedeutet planbare Routen, planbare Stopps und idealerweise Routen, bei denen gesetzlich vorgeschriebene Lenkzeitunterbrechungen zum Laden genutzt werden können.
Wasserstoff-basierte Antriebe machen insbesondere dort Sinn, wo die Notwendigkeit einer schnellen Energiezufuhr besteht.
Neben den Entwicklungen auf Seiten der Fahrzeughersteller setzt der Umstieg auf CO2-neutrale Antriebe voraus, dass die alternative Energiequelle in einem ausreichend dichten Verteilnetz zur Verfügung steht und dass diese Energie natürlich CO2-neutral hergestellt wurde.
Neben der Sicht auf den individuellen Use Case gilt auch zu beachten: Europa wird langfristig Energie importieren müssen. Der Transport von Wasserstoff über große Distanzen ist einfacher und verlustärmer als der Transport von Strom.
In welchen Anwendungsbereichen werden welche Antriebslösungen – abhängig auch vom jeweiligen Einsatzprofil – prädestiniert zum Einsatz kommen?
C. Gropp: Konventionelle Antriebe werden wir noch länger dort sehen, wo komplexe Fahrzeuge und Anwendungen auf geringe jährliche Laufleistungen stoßen. Attraktive ZEV-Produkte für den Verteilerverkehr sind heute schon bei uns und bei unseren Wettbewerbern verfügbar. Ich verweise hier beispielsweise auf unseren eActros, den wir seit mehr als einem Jahr als schweres Verteilerfahrzeug in Serie haben, und auf den eCanter für primär innerstädtische Anwendungen.
Der Trend hin zu BEV für den europäischen Fernverkehr war auf der IAA 2022 eindeutig erkennbar. Für diese Anwendungen ist der BEV eine sehr gute Lösung, eine gute Infrastruktur vorausgesetzt. Bei den BEVs wird es langfristig eine Ko-Existenz von e-Achsen und Zentralantrieben geben.
Je höher der Energie-Umsatz pro Tag wird, desto attraktiver werden Wasserstoff-basierte Antriebe aufgrund der schnelleren Energiezufuhr.
Erwarten Sie unterschiedliche Ausprägungen im Mix der Antriebskonzepte mit Blick auf die internationalen Märkte?
C. Gropp: Der Erfolg eines Konzepts wird maßgeblich beeinflusst durch Gesetzgebung und Energiekosten. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sich alle Schlüsselregionen mit ähnlicher Geschwindigkeit in die gleiche Richtung bewegen, somit wird es regionale Unterschiede geben. Die Kunden werden zu dem Produkt greifen, was für die jeweilige Transportaufgabe unter Berücksichtigung der regionalen Randbedingungen am geeignetsten erscheint.
In Europa gibt es für die Hersteller klare Ziele zur CO2-Reduzierung der Flotte, und der Betrieb von Zero Emission Vehicles wird auch für den Flottenbetreiber attraktiver, zum Beispiel durch Mautreduzierungen. Das fördert die Marktdurchdringung von CO2-neutralen Antrieben, unabhängig von der Frage BEV oder Wasserstoff.
In den USA hingegen gibt es – noch – weniger finanzielle Anreize für ZEV-Antriebe, somit fällt die Kosten-Nutzen-Rechnung auf Basis aktueller Gesetzgebung dort anders aus als in Europa.
Wenn wir die Triade verlassen und zum Beispiel nach Brasilien blicken, wo wir auf eine oft schwierige Topografie in Verbindung mit 74t als Standard-Sattelzuggewicht stoßen, halte ich BEV-Fahrzeuge in Fernverkehr auf absehbare Zeit für unwahrscheinlich.
Bilden bei batterieelektrischen Antrieben nicht weiterhin Infrastruktur und Stromerzeugung die limitierenden Faktoren? Was ist von wem zu tun, um mehr Tempo in den Ausbau zu bekommen?
C. Gropp: Stand heute ist das so, da haben Sie Recht. Allerdings laufen auch zahlreiche Initiativen, um dieses Problem zu lösen, und wir als Daimler Truck unterstützen das durch mehrere Initiativen mit strategischen Partnern. Unser Ziel ist es aber, nicht selbst zum Energie-Anbieter zu werden.
Insgesamt wird sich die Energie-Bereitstellung zu einem profitablen Geschäft entwickeln, und somit bin ich davon überzeugt, dass mit wachsenden Flotten auch die Energie-Bereitsteller ihren Beitrag leisten werden.
Braucht es für Nutzfahrzeuge das Megawattcharging oder wird es nicht eher auf ein Laden über Nacht, bei niedrigeren Leistungen mit bis zu 300 Kilowatt dafür effizienter, hinauslaufen?
C. Gropp: Ich glaube, es wird beides geben müssen. Nur mit dem Megawattcharging können Fahrzeuge in schwierigen Anwendungen in ausreichend kurzer Zeit die Energie bekommen, die sie für den nächsten Streckenabschnitt benötigen. Denken Sie beispielsweise an den Energiebedarf eines schweren Fahrzeugs zum Überqueren der Alpen.
In der Mehrzahl werden wir aber auch in Zukunft mit niedrigeren Ladeleistungen arbeiten, das begründe ich mit geringeren Kosten für das Laden, mit niedrigeren Verlusten beim Laden und mit dem für die Batterien schonenderen Ladevorgang. Außerdem gehe ich davon aus, dass viele Fahrzeuge in Firmendepots geladen werden, oftmals besteht dort weder die Notwendigkeit der extrem schnellen Energiezufuhr noch sind die technischen Voraussetzungen dafür gegeben.
Wann sind aus Ihrer Sicht Wasserstoff-Serienanwendungen realistisch zu erwarten?
C. Gropp: Erste Pilotfahrzeuge von verschiedenen Herstellern sind heute schon unterwegs. Kleinserien sind angekündigt ab etwa 2025, wir als Daimler Truck werden in der zweiten Hälfte der laufenden Dekade eine Serienlösung anbieten.
Ich glaube, dass der Ausbau der H2-Infrastruktur langsamer erfolgen wird als der der Ladesäulen, schon allein deswegen wird die Marktdurchdringung von BEV schneller erfolgen. Sowohl Hersteller als auch Spediteure werden aber die Zeit intensiv nutzen, um Erfahrungen mit Brennstoffzellen-Antrieben im Lkw-Einsatz sammeln zu können.
Welche Hürden haben Wasserstofftechnologien vor allem noch zu meistern?
C. Gropp: Die Brennstoffzelle an sich ist ja nicht eine neue Erfindung, sondern bekannte Technik, aber der Einsatz in der Großserie setzt Optimierungen im Produkt und in der Fertigung voraus, um marktfähige Preise für Aggregate und Gesamtfahrzeug zu erreichen.
Darüber hinaus muss „grüner“ Wasserstoff zu attraktiven Kosten, in hoher Qualität und in großen Mengen bereitgestellt werden können. Dies bedarf Investitionen in Herstellung und Verteilung.
Zusammenfassend möchte ich noch gerne herausstellen: BEV und H2 sind aus meiner Sicht keine konkurrierenden Technologien, sondern wir werden beide Technologien sehen, weil sie sich mit ihren Merkmalen im Kundeneinsatz sehr gut ergänzen.