Die zukünftigen Herausforderungen im Bereich NVH und Psychoakustik bieten Ingenieur*innen zahlreiche Möglichkeiten, das Fahrerlebnis und die akustische Identität von Elektrofahrzeugen neu zu gestalten. Die Anforderungen an AVAS und die Möglichkeiten des suggestiven Sounddesigns eröffnen innovative Wege, um sowohl gesetzliche Vorgaben zu erfüllen als auch ein einzigartiges Klangerlebnis zu schaffen, das den Anforderungen an Sicherheit und Markenimage gerecht wird. Wer sich frühzeitig mit den Potenzialen dieser Technologien auseinandersetzt und innovative Lösungen entwickelt, kann sich im zunehmend wettbewerbsintensiven Markt der Elektromobilität entscheidende Vorteile sichern.
Die Entwicklung der Elektromobilität stellt neue Anforderungen an das Fahrzeugdesign, insbesondere im Bereich der Noise, Vibration, Harshness (NVH).
Da Elektrofahrzeuge (EVs) deutlich geringere Schalldruckpegel in der primären Schallemissionsquelle aufweisen im Vergleich zu herkömmlichen verbrennungsmotorisch getriebenen Fahrzeugen, kommen Geräusche in den Fokus, die zuvor von Motorenlärm überdeckt – also maskiert - wurden. Ein herausfordernder Aspekt ist hierbei insbesondere die Erzeugung von Fahrgeräuschen im niedrigen Geschwindigkeitsbereich, da hier die Geräuschentwicklung des Antriebsstrangs nahezu fehlt. Um Fußgänger zu schützen, hat die EU vorgeschrieben, dass alle neuen Elektrofahrzeuge mit einem Acoustic Vehicle Alerting System (AVAS) ausgestattet sein müssen, das bei niedrigen Geschwindigkeiten hörbare Fahrgeräusche erzeugt.
Doch die Akustikanforderungen für Elektrofahrzeuge gehen über die reine Erfüllung gesetzlicher Vorgaben hinaus. Eine zentrale Stellung in der Forschung und Entwicklung kann dabei das suggestive Sounddesign einnehmen. Hierbei geht es darum, die Geräuschkulisse eines Fahrzeugs bewusst so zu gestalten, dass das Fahrerlebnis durch eine positive Klangwahrnehmung positiv beeinflusst wird. Geräusche werden nicht nur als funktionales Element, sondern auch als Teil der Markenidentität betrachtet. Das Fahrzeug soll nicht nur gehört werden, sondern sich gut und markenspezifisch anhören – sowohl im Innen- als auch im Außenbereich.
Herausforderungen und Chancen durch AVAS
Die Implementierung von AVAS erfordert eine präzise Abstimmung zwischen den technischen Gegebenheiten und den psychoakustischen Anforderungen. Dies beinhaltet die Wahl der Frequenzbereiche, der Lautstärke und der Klangcharakteristik, um sowohl die gesetzliche Vorgabe als auch die akustischen Präferenzen der Fahrzeuginsassen zu berücksichtigen. Das Ziel ist es, ein Geräuschbild zu entwickeln, das sowohl Sicherheit bietet als auch das Markenimage transportiert.
Ein gelungenes AVAS-Sounddesign geht weit über das bloße Einstellen von Frequenzen hinaus und ist immer eine systemabhängige Größe. Es muss als integraler Bestandteil des Fahrzeugdesigns betrachtet werden, das eng mit den Werten und der Geschichte einer Fahrzeugmarke verbunden ist.
Hierbei muss unterschiedenen werden zwischen den Klangprofilen, die von Nutzenden (im Innern) und von Fußgänger*innen (außerhalb des Fahrzeugs) wahrgenommen werden können, den ursächlichen Geräuschquellen und den Transferpfaden, welche die Geräusche verändern und beeinflussen. Alle drei Bereiche sind Handlungsfelder bei der Entwicklung von adäquaten AVAS Funktionen. Die Klangqualität ist hierbei keine rein technische Größe, sondern hängt subjektiv sehr stark an den Erwartungshaltungen und der sogenannten Menschkalibrierung, welche wiederum eng mit dem Markenimage verknüpft ist.Die Schaffung dieser akustischen Signaturen ist daher technisch anspruchsvoll und geht über klassische Methoden der Akustikbewertung weit hinaus.
Bezogen auf die Quellen, kann festgehalten werden, dass Elektroantriebe in einem engen Frequenzbereich Töne erzeugen, die für das menschliche Ohr besonders prägnant wahrgenommen werden können. Diese Geräusche müssen gezielt gestaltet und moduliert werden, um unangenehme Störgeräusche zu minimieren und die Wahrnehmung positiv zu beeinflussen. Das kann über elektronischen Eingriff, über die Leistungselektronik, die Gestaltung der E-Maschine und im Wechselspiel mit dem Getriebe realisiert werden. Hier kommt insbesondere aber die Bedeutung der Psychoakustik ins Spiel, die untersucht, wie Menschen Geräusche wahrnehmen und bewerten. So ist die Wahrnehmungsschwelle gerade in dem für die Elektromobilität so wichtigen höheren Frequenzbereichen besonders niedrig (vgl. Bild 2).