Was würde Sherlock Holmes tun?

„Who done it“ – wer war es? Nach diesem Prinzip fesseln klassische Krimiromane ihre Leser bis zur letzten Seite. Ähnlich nervenaufreibend und langwierig kann es bisweilen sein, der Ursache technischer Probleme auf die Spur zu kommen. Wie lassen sich diese „Kriminalfälle“ in der Fertigung zielgerichteter und effizienter lösen? Dr.-Ing. Bernd Gimpel, Experte für Qualitätsprozesse, Produkt- und Prozessoptimierung, hat Antworten.

Keine vorschnellen Schlüsse ziehen

Viele waren bereits mit derartigen Situationen konfrontiert: In der industriellen Fertigung treten Qualitätsmängel auf, Kunden reklamieren oder ein Prozess funktioniert nicht so, wie er sollte. In diesen und ähnlichen Lagen neigen viele zu Schnellschüssen, die letzthin das Problem aber nicht lösen können. Ein Phänomen, das sich durch die Neurophysiologie erklären lässt, so Dr. Gimpel: „Wir glauben, Entscheidungen bewusst zu treffen. Dabei läuft das meiste doch in unserem Unterbewusstsein in wenigen Sekundenbruchteilen ab. Individuelle Erfahrungen und Vorurteile spielen eine Rolle, Fakten und Vermutungen werden munter miteinander gemischt. Und da der Mensch per se Unsicherheiten nicht mag, neigen viele zu vorschnellen Schlussfolgerungen – das kann bei der Fehlersuche in eine Sackgasse führen.“

Gründlich ermitteln und Fakten sammeln

Stattdessen ist der erste Schritt zu einer zielführenden Root Cause Analysis, sich genügend Zeit für die Faktensammlung zu nehmen. „Das ist pure Kriminalarbeit – am besten direkt vor Ort an der Maschine. Auch eine Reklamationsbearbeitung ist im Grunde nichts anderer als eine Ermittlung: von der Zeugenbefragung über ein neutrales Sammeln von Zahlen, Daten und Fakten bis hin zum Prüfen der Alibis möglicher Verdächtiger“, schildert Dr. Gimpel weiter. Nach seiner Einschätzung braucht es dafür nicht unbedingt hunderte unterschiedliche Methoden und komplexe Fehleranalyse-Matrizes. Viel wichtiger sei ein systematisches Vorgehen und die Konzentration auf universell nutzbare Verfahren. Und eines dürfe in keinem Fall fehlen: GMV, der sprichwörtliche gesunde Menschenverstand.

Wie ein Detektiv dem Fehler auf der Spur

Die Detektivmethode unterstützt dabei. Sie macht es möglich, Probleme zu analysieren, mögliche Ursachen zu identifizieren, ihre „Alibis“ zu überprüfen, sprich die Fehlerquelle zu testen und zu ermitteln – um schließlich geeignete Lösungen zu entwickeln und deren Wirkung zu überprüfen. Ein Grundprinzip: Statt sich eine vorschnelle, intuitive Fehlereinschätzung zuzutrauen, werden dabei vor allem zahlreiche Fragen gestellt: Was ist konkret der Fehler? Wann, wie oft, unter welchen Umständen, wo am Objekt tritt er auf? Gibt es wiederkehrende Intervalle, ist der Fehler erst ab einem bestimmten Prozessschritt sichtbar? Wie ist die Tendenz, kommt es zum Beispiel häufiger oder seltener zu Mängeln. Sind Fehler nur an einigen Maschinen oder nur an einigen von mehreren Standorten zu beobachten? Jedes Stück an Information bringt den Detektiv weiter bei der Auflösung seines Falls.

Methoden für die Fehleranalyse

Um gesammelte Daten auszuwerten, ist in jedem Fall eine Visualisierung empfehlenswert. So lassen sich Muster etwa beim zeitlichen Auftreten oder der Häufung von Fehlern erkennen. Auch die zeitliche Entwicklung und Auffälligkeiten dabei gilt es zu analysieren. Dr. Gimpel verweist zudem auf das Verfahren des Stratifizierens, einer klassischen Methodik aus dem Qualitätsmanagement: „Dabei geht es um das „Entschichten“ von Prozessen, um Schritt für Schritt den Ursachen auf die Spur zu kommen.“ Auch die TRIZ-Methodik könne bei komplexen Problemen hilfreich sein. Ein weiterer, grundsätzlicher Tipp des Experten: „In der Komplexität kann man sich schnell verzetteln. Daher ist es ratsam, sich zunächst nur auf das größte Problem etwa in einer Fertigung zu konzentrieren und daran zu arbeiten, statt mehrere Themen gleichzeitig anzupacken.“

Von berühmten Detektiven lernen

Um dem Fehlerverursacher – in diesem Fall also dem Täter – auf die Spur zu kommen, können TV-Kriminalisten durchaus als Vorbild dienen. Dr. Gimpel: „Bei CSI zum Beispiel geht es um die Datensammlung und -aufbereitung, ums Quantifizieren und Visualisieren. Sherlock Holmes zeigt uns eine methodische, auf Logik basierende Herangehensweise bei Ermittlungen vor Ort. Und Hercule Poirot beweist, wie hilfreich Kreativtechniken beim Auflösen kniffliger Fälle sein können.“ Übertragen auf das Unternehmen gehören zu diesen Techniken zum Beispiel Mind Mapping, Brainwriting oder die Rolle des „kleinen Saboteurs“, also des inneren Kritikers, der alles permanent hinterfragt. Denn eines zeigt sich in guten Krimis immer wieder: Der erste Hauptverdächtige ist am Ende gar nicht der Täter – eine Erkenntnis, die auch bei der Root Cause Analysis hilfreich ist. Somit kann selbst der nächste gemütliche Krimiabend zur Trainingsstunde für Fehlerdetektive werden! 

Zur Person

Dr.-Ing. Bernd Gimpel, Inhaber, quality engineers, Aachen

In seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer Institut für Produktionstechnologie (IPT) leitete er die „Qualitätsgerechte Optimierung von Fertigungsprozessen“. Als mitgeschäftsführender Gesellschafter der G•f•Q•S – Gesellschaft für Qualitätssicherung mbH ­baute er dort den Bereich „Produkt- und Prozess­optimierung“ auf. Seit 1997 ist er Inhaber der quality ­engineers, Dr. Bernd Gimpel, Aachen.

Er befasst sich mit der Schulung und Anwendung von Methoden der Produkt- und Prozessoptimierung in den unterschiedlichsten Branchen. Dazu gehören insbesondere die Begleitung von Entwicklungsprozessen und Unterstützung bei der Lösung ­technischer Probleme. Als Autor und Co-Autor ist er an diversen Büchern beteiligt, wie z.B. dem im Hanser Verlag erschienenen Buch „Ideen finden, Produkte entwickeln mit TRIZ“.

Das Interview mit Dr. Gimpel führte Oliver Schönfeld.