Stolpersteine der PPS

Produktionsunternehmen begründen ihre geringe logistische Zielerreichung oftmals mit Softwaredefiziten. Doch sind bei der PPS-Gestaltung neben den eigentlichen Werkzeugen auch Ziele, Funktionslogik und Ablauflogik relevant. Die Analyse der so genannten „Stolpersteine der PPS“ zeigt: Nur eine widerspruchsfreie Konfiguration ermöglicht ein funktionierendes Gesamtsystem. Eine Checkliste verdichtet die wesentlichen Aspekte und öffnet so den Weg zu einer konsistenten PPS-Konfiguration.
 

Grundverständnis

Ein PPS-Stolperstein ist ein Konfigurationsfehler in der Planung und Steuerung mit Gestaltungs- oder Anwendungsdefiziten: Damit sind entweder die o.g. Gestaltungsaspekte inkonsistent ausgelegt, bzw. nicht angemessen wirkungsvoll in Planungs- und Steuerungswerkzeuge umgesetzt. Oder im Betrieb werden die eigenen Regeln nicht konsequent umgesetzt.

Folgende Symptome sind typisch: Geringe Zielerreichung und Transparenz, der unnötig hoch empfundene Aufwand für die Auftragsverfolgung, Steuerung und Disposition, ausufernde Terminrunden sowie vom Einzelereignis getriebene Dispositionsentscheidungen. Die Stolpersteine sind in neun Gruppen zusammengefasst und ihren vorwiegenden Ursachen zugeordnet, Bild 1.

Bild 1: PPS-Stolpersteine.

Typische Beispiele

Oft behindern fehlende oder widersprüchliche logistische Zielsetzungen und divergierende Interessen der Beteiligten die Zielerreichung maßgeblich. Ein Leiterplattenbestücker bildet ein prägnantes Beispiel. Das Unternehmen beschäftigt 300 Mitarbeitende und setzt auf ein konsequentes Führen durch Ziele. Die jeweiligen Bereichsleitenden haben Zielvereinbarungen mit klaren Prioritäten. Doch die Detailanalyse zeigte erhebliche Widersprüche: Während für das Gesamtunternehmen das Ziel Liefertreue die höchste Zielpriorität hat, fehlte dies in der Zielvereinbarung der Bereichsleitenden vollständig (Priorität 1: Produktivität, Bestück- und Lötqualität). So überrascht es nicht, dass die Verantwortlichen die Liefertreue vernachlässigten und den erforderlichen Kapazitätsaufbau zu spät einleiteten; eine geringe Liefertreue und damit der Verlust von Marktanteilen waren unvermeidlich.

Eine weitere wichtige Ursache schlechter Logistikleistung ist ein unzureichendes Logistikverständnis der verschiedenen Akteure. Betrifft dies das Management, sind wechselnde Zielvorgaben oder auch direkte Eingriffe oberer Führungskräfte in das operative Tagesgeschäft typisch. Vor allem kurzfristige Lieferterminzusagen der schon sprichwörtlichen Geschäftsführeraufträge ziehen Prioritätsänderungen anderer Aufträge nach sich, die das Einhalten bereits zugesagter Liefertermine praktisch unmöglich machen. Darüber hinaus fehlt vielen operativ Verantwortlichen in den Bereichen Disposition, Planung & Steuerung sowie Produktion und Logistik eine logistische Grundausbildung, so dass die Planungs- und Steuerungsentscheidungen teilweise auf nachweislich falschen Erfahrungsregeln fußen.

Eine wesentliche Aufgabe der Software ist die wirkungsvolle Unterstützung der Dispositionsaktivitäten. Als Grundlage der teilautomatisierten Dispositionsentscheidungen dienen die entsprechenden PPS-Funktionen. Deren Leistungsfähigkeit hängt einerseits von einer anforderungsgerechten Konfiguration der PPS-Methoden, andererseits aber auch von der Einstellung der Dispositionsparameter ab, vgl. Datenqualität.

Jede wirkungsvolle Planung und Steuerung erfordert eine vollständige, konsistente und aktuelle Datenbasis als Grundlage. Diese Datenqualität betrifft sowohl die Stamm- als auch die Bewegungsdaten. Typischer Stolperstein sind falsche Standard-Durchlaufzeiten: Häufig werden diese Werte lediglich abgeschätzt, so dass eine regelmäßige Aktualisierung für Beschaffung und Produktion unterbleibt.

Das verwendete Datenmodell strukturiert die notwendigen Daten. Einprägsames Beispiel für eine fehlerhafte Bedienung bildet das Überschreiben der mit den Kunden vereinbarten Soll-Liefertermine mit den Ist-Werten bei der Warenauslieferung. Das verhindert sinnvolle Terminauswertungen und die Unzufriedenheit der Kunden mit der Liefertreue des Unternehmens überrascht wenig. Neben solch offensichtlichen Unzulänglichkeiten sind vor allem individuell programmierte Zusatzprogramme für ERP-Standardsoftware ein Indikator für unpassende Datenmodelle.

Aus Werkzeugsicht hat die Softwareergonomie einen wesentlichen Einfluss auf die Bereitschaft der Bedienenden mit der Standardsoftware zu arbeiten. So hat bspw. ein Maschinenbauer mit 300 Mitarbeitenden ca. 2.500 Produktionsaufträge mit mehr als 16.000 Arbeits­vorgängen im Umlaufbestand. Die Terminüberwachung stellt die Disposition also vor die Herausforderung, potentiell kritische Ereignisse rechtzeitig zu erkennen, um zielgerichtet einzugreifen. Doch bis heute sind auf den Bildschirmen die Wurzeln der alphanumerischen Darstellungen früherer Softwaregenerationen erkennbar. Es dominieren tabellenbasierte Darstellungen wie bspw. die bekannten Bedarfs-Bestandslisten zur Materialdisposition. Das erschwert sowohl ein dispositionsstufenübergreifendes Controlling zur Komplettierererkennung (späteste Komponente, die den Montagestart verhindert) als auch eine ressourcenbezogene Engpasserkennung deutlich.

Die klare Definition von Prozessen und eine Aufgabenverteilung auf die Verantwortlichen in einem Unternehmen ist eine der wichtigsten Aufgaben der Geschäftsführung. Die Stolpersteine inkonsistente Verantwortlichkeit sowie unklare Prozesse bzw. Schnittstellen sprechen diese Punkte an. Viele operativ Verantwortliche bemängeln organisatorische Defizite hinsichtlich Verantwortungsbeschreibung, Entscheidungsprozesse und Durchsetzungskompetenz in der Auftragssteuerung.

Die Beispiele verdeutlichen: Die Wirksamkeit von PPS-Systemen ist viel stärker als bei rein technischen Systemen durch ein komplexes Zusammenwirken von konzept-, system- und personenbezogenen Erfolgsfaktoren bestimmt. Deshalb müssen entsprechende Verbesserungsmaßnahmen neben den technisch-funktionalen auch organisatorische und akteursbezogene Ansatzpunkte im Blick behalten werden.
 

Prüffragen

Im Sinne einer ganzheitlichen Gestaltung des PPS-Systems resultieren aus den diskutierten Stolpersteinen Empfehlungen.
Diese sind in Form eines Fragenkatalogs abgeleitet und in fünf Bereiche gegliedert:

Ziele und Akteursinteressen

  • Sind die logistischen Zielgrößen definiert, werden sie regelmäßig gemessen und ist für deren Zielerfüllung jeweils eine Zuständigkeit festgelegt?
  • Besteht eine marktorientierte logistische Zielpositionierung und sind die Zielgrößen konsistent?
  • Stehen die logistischen Ziele des Unternehmens auf allen Ebenen in Übereinstimmung mit den Zielvereinbarungen der Beteiligten?

Logistisches Leitbild und PPS-Methoden

  • Existiert ein logistisches Leitbild und wird die Einhaltung überprüft?
  • Passen die eingesetzten PPS-Methoden und Organisationsregeln dazu?

Auftragsabwicklungskette und Zuständigkeit

  • Sind die Prozessschritte in der Auftragsabwicklungskette beschrieben?
  • Sind für alle Schritte Zuständige festgelegt und die Schnittstellen eindeutig beschrieben?

Parametrierung und Datenqualität

  • Wird die Qualität von Stamm- und Rückmeldedaten regelmäßig überprüft? Wie ist dies bei den zentralen Stammdaten (Stücklisten, Arbeitspläne, Standard-Durchlaufzeiten und -Kapazitäten)?
  • Sind hierfür Zuständige festgelegt und was passiert bei Qualitätsabweichungen?

Mitarbeitendequalifikation und Logistikaudit

  • Haben die Mitarbeitenden die erforderlichen Kenntnisse (Methoden und Software) über die Zusammenhänge?
  • Werden die Kenntnisse regelmäßig aufgefrischt mit Blick auf den Stand der Technik?

Softwarewerkzeuge

  • Verfügen die Softwarewerkzeuge über die erforderlichen Funktionen?
  • Werden die benötigten Daten rollengerecht aufbereitet?

Die Beantwortung der Fragen gibt den Unternehmen systematische Hinweise für eine wirkungsvolle PPS-Gestaltung zur Vermeidung der PPS-Stolpersteine.

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Über den Autor:

Dr.-Ing. habil. Hans-Hermann Wiendahl berät seit ca. 30 Jahren Unternehmen verschiedenster Branchen zur Optimierung der Auftragsabwicklung und ihrer Lieferketten. Nach einer Stammhauslehre bei der Siemens AG studierte er Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Berlin. Während seiner Beschäftigung an der Universität Stuttgart und am Fraunhofer IPA promovierte und habilitierte er zum Auftragsmanagement von Produktionsunternehmen.

Danach war er acht Jahre im Maschinen- und Anlagenbau in verschiedenen Positionen für Grobplanung, Fertigungssteuerung und Prozessgestaltung verantwortlich. Während dieser Zeit war er in leitender Rolle für die Softwareeinführung (SAP, APS) für die Planung und Steuerung der Supply Chain, Produktion und Logistik verantwortlich. 2016 kehrte er ans Fraunhofer IPA zurück und verantwortet dort als Gruppenleiter die Themen der digitalisierten Auftragsabwicklung. Zusätzlich leitet er am Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart das Forschungsgebiet Auftragsmanagement.