Wie wichtig ist Reibungsreduktion in der Antriebstechnik und im Maschinenbau zur Erreichung der Klimaziele?

Die Auswirkungen des Klimawandels sind (leider) offensichtlich. Die europäische Politik hat längst reagiert und das Ziel der Dekarbonisierung im Green Deal festgeschrieben. Aber welche Maßnahmen helfen uns wirklich dieses Ziel zu erreichen? Und was kann der Beitrag des Maschinenbaus dazu leisten?

Um das herauszufinden, sprechen wir mit Prof. Dr. Oliver Koch, Lehrstuhlinhaber „Maschinenelemente, Getriebe und Tribologie“ (MEGT) an der RPTU Kaiserslautern-Landau, im Interview.

 

Wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Potentiale zur Treibhausgasreduktion?

Prof. Dr. Oliver Koch: Die Frage ist falsch gestellt. Es geht nicht um meine Sicht, sondern darum, wo objektiv die größten Potentiale liegen. Dazu muss man zunächst einmal analysieren, wofür die Energie, die wir jedes Jahr weltweit erzeugen verbraucht wird. Wenn man dann die großen Verbraucher identifiziert hat, ist die Frage, wo man mit schon vorhandenen Lösungen zu Reduktionen kommen kann, also zu Lösungen die kurz- bis mittelfristig umsetzbar sind. Denn eins ist klar: Uns läuft die Zeit weg. Es ist meiner Ansicht nach ein Kernproblem der aktuellen öffentlichen Diskussion, dass zu viel über Meinungen und Glauben gesprochen wird und zu wenig zahlen-, daten-, faktenbasiert.

Es gibt eine Studie von zwei sehr renommierten Wissenschaftlern, Prof. Kenneth Holmberg and Prof. Ali Erdemir, mit dem Titel „Influence of Tribology on Global Energy Consumption, Costs and Emissions“ [1]. Darin wird aufgezeigt, dass 23 Prozent der global erzeugten Energie in tribologischen Kontakten „verloren“ gehen. Das heißt, wenn es morgen keine Reibung mehr geben würde, könnten wir fast ein Viertel aller Kraftwerke weltweit abschalten. Natürlich wird es immer Reibung geben, in der Studie wird aber ein Potenzial zur mittelfristigen Reduktion der Reibung um 40 Prozent herausgearbeitet. Und das nur durch konsequente Anwendung von Technologien, die schon existieren. Das entspricht ca. 3.300 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr bzw. wir könnten knapp 10 Prozent aller Kraftwerke abschalten.
 

Das sind zwar enorme Potenziale, Sie haben aber noch nicht beantwortet, welchen Beitrag hier die Antriebstechnik oder der Maschinenbau leisten kann.

Prof. Dr. Oliver Koch: Da haben Sie recht. Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen, und zwar an ganz klassischen Maschinenelementen, die fast überall zum Einsatz kommen, wo sich was dreht: Wälzlager. Nun kann man sich fragen, wieso ausgerechnet Wälzlager, da jeder Studierende im vierten Semester lernt, dass diese im Vergleich zu Gleitlagern sehr reibungsarm sind und die Verluste meist kleiner sind als z. B. von Verzahnungen. Im angelsächsischen Sprachraum werden Wälzlager oftmals als „Anti-Friction Bearings“ bezeichnet, was viel über deren Energieeffizienz aussagt. Man darf aber nicht vergessen, dass in Summe sehr viele Wälzlager zum Einsatz kommen. Pro Jahr werden weltweit Wälzlager im Wert von ca. 50 Mrd. Euro verkauft. Die Firma Schaeffler hat in dem Paper „Abschätzung der weltweiten Energiebilanz von Wälzlagern“ [2] untersucht, wie groß die Energieverluste sind, die durch die jährlich weltweit neu installierten Wälzlager entstehen. Das Ergebnis ist eine große Zahl, nämlich 420 TWh.
 

420 TWh klingt sehr abstrakt. Können Sie das konkretisieren?

Prof. Dr. Oliver Koch: Wenn man die 420 TWh mit dem deutschen Strommix 2023 von ca. 380 gCO2/kWh multipliziert, erhält man 160 Millionen Tonnen CO2, was 0,42 Prozent der globalen CO2 Emission im Jahr 2023 entspricht. Oder anders ausgedrückt: Fast 2 Prozent der Energie, die jedes Jahr in Reibung und Verschleiß verloren geht, wird in Wälzlagern in Wärme umgewandelt. Und wir reden hier nur über die jährlich neu installierten Wälzlager. In der Regel sind Wälzlager aber deutlich länger als ein Jahr im Einsatz, so dass der wirkliche Beitrag noch deutlich größer sein dürfte. Ähnliche Betrachtungen könnte man für Dichtungen und Zahnräder anstellen. In Summe wird also ein guter einstelliger Prozentbereich der global erzeugten Energie in den klassischen Maschinenelementen „verloren“ gehen.
 

Sind die Maschinenelemente so ineffizient?

Prof. Dr. Oliver Koch: Das Gegenteil ist der Fall. Die Wirkungsgrade sind extrem hoch. Eine Zahnradstufe hat beispielsweise einen Wirkungsgrad von ca. 99 Prozent. Diese hohe Effizienz ist das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung und Entwicklung in den Firmen und insbesondere auch in der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF). Hätten wir diese Aufwände nicht getrieben, dann wären die CO2 Emissionen noch weitaus höher. Nichtsdestotrotz gibt es immer noch Potenzial die Wirkungsgrade zu erhöhen. Das müssen wir unbedingt heben – und das tun wir auch.

Wenn man sich die Zahlen anschaut, sollte das Thema Reibungsreduktion auch in der öffentlichen und politischen Diskussion mehr Aufmerksamkeit bekommen. Leider wird aber stattdessen schon sehr lange und intensiv über Themen diskutiert, die einen deutlich kleineren Hebel haben. Ein Verbot von Inlandsflügen würde z. B. nur eine Reduktion der CO2-Emissionen von 2 Millionen Tonnen CO2 bedeuten. Daher komme ich zu der Aussage vom Beginn zurück, wir müssen uns auf Basis von Zahlen, Daten Fakten um die richtigen Themen kümmern. Das kann auch eine große Chance für die deutschen Unternehmen sein, da wir auf dem Gebiet des Engineerings und der Energieeffizienz von Maschinen und Anlagen führend sind.

 

[1] Holmberg, K. and Erdemir, A. (2017), “Influence of Tribology on Global Energy Consumption, Costs and Emissions,” Friction, 5(3), pp 263–284.
[2] Bakolas, V., Rödel, P., Pausch, M.: „Abschätzung der weltweiten Energiebilanz von Wälzlagern “, Tribologie + Schmierungstechnik 69 4, 41-47, 2022, DOI:10.24053/TuS-2022-0022

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Über Oliver Koch:

Copyright: Foto Welker

Prof. Oliver Koch war nach seiner Promotion an der Ruhr-Universität Bochum 14 Jahre für Schaeffler in verschiedenen Positionen in der R&D aktiv, zuletzt als Vice President „R&D Analysis Tools and Methods“. In dieser Funktion verantwortete er die globale Entwicklung der „Bearinx Simulation Suite“, also der Wälzlagerauslegungssoftware von Schaeffler. Seit November 2021 ist er Professor an der Rheinlandpfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) und leitet dort den Lehrstuhl für „Maschinenelemente, Getriebe und Tribologie“ (MEGT).