Prof. Stefan Leupertz im Interview über die VDI-Konferenz "Bauprojektmanagement – Agil & Lean", agiles Bauprojektmanagement und Fachkräftemangel in der Baubranche
Die VDI-Konferenz "Bauprojektmanagement – Agil & Lean" gibt einen umfassenden Überblick über die neuesten Trends, Entwicklungen und Umsetzungsstrategien, um produktivitätsverbessernde Maßnahmen bestmöglich im Unternehmen zu integrieren. Die Teilnehmenden erfahren, wie sie mit effektiver Projektsteuerung, partnerschaftlicher Projektzusammenarbeit und kooperativer Planung ihre Ressourcen besser nutzen können. Wir sprachen mit Prof. Stefan Leupertz über die Highlights der Veranstaltung, Fachkräftemangel in der Baubranche und wie agiles Bauprojektmanagement dabei unterstützen kann.
Herr Prof. Leupertz, Sie sind einer der fachlichen Leiter der VDI-Konferenz „Bauprojektmanagement – Agil & Lean“. Welche Programm-Highlights bietet die Veranstaltung?
Prof. Stefan Leupertz: Das Besondere der Konferenz ist der vertiefte Austausch von durchweg hochkarätigen Fachleuten unterschiedlicher Fakultäten über die Parameter, unter denen Bauprojekte bestmöglich abgewickelt werden können. Dementsprechend gibt es weder programmatisch noch inhaltlich einen „Leuchtturm“, der als „Programm-Highlight“ für die Verwirklichung solcher Optimierungsziele stehen könnte. Am Ende ist das zweckentsprechende Zusammenwirken geeigneter (vertrags-)rechtlicher, organisatorischer und sozio-kultureller Faktoren entscheidend für den Projekterfolg. Welche Faktoren das im Einzelnen sind und welche Rahmenbedingungen sich hieraus ergeben (können), berichten und diskutieren Jurist*innen, Ingenieur*innen, Manager*innen und Baubetriebe aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln – und das alles mit einem hohen Qualitätsanspruch und größtmöglichem Praxisbezug. Darin – in der Zusammenführung all dieser Themen und Perspektiven – liegt die Stärke der Konferenz, die meines Wissens nach, in Deutschland ihresgleichen sucht.
Fachkräftemangel liegt in der Baubranche auf hohem Niveau. Wie genau äußert sich dieser aus Ihrer Sicht und welche Auswirkungen ergeben sich daraus?
Prof. Stefan Leupertz: Ingenieur*innen und gut ausgebildete Fachleute fehlen auf den Baustellen, in den Verwaltungen und übrigens auch in den Anwaltskanzleien. Die Folgen machen sich immer stärker bemerkbar, weil Bauprojekte vor Ort wegen fehlender Manpower und Kompetenz ins Stocken, zuweilen sogar in schwere Schieflage geraten, die öffentliche Hand mit der Aufgleisung wichtiger Infrastrukturbauprojekte nicht mehr nachkommt und das Handwerk die hohe Nachfrage in zahlreichen Bereichen nicht mehr bedienen kann. Das alles ist dramatisch, weil wir den in Zeiten essenzieller Nachhaltigkeitsanforderungen stark gestiegenen Bedarf an innovativen Baulösungen ohne eine ausreichende Zahl an Fachkräften ebenso wenig werden realisieren können, wie die zwingend nötige Revitalisierung und den Ausbau einer über Jahrzehnte heruntergewirtschafteten Infrastruktur. Mittel- und langfristig steht nicht weniger als die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Gemeinwesens auf dem Spiel.
Inwieweit hilft agiles Bauprojektmanagement, die Herausforderungen des Fachkräftemangels in der Baubranche zu meistern?
Prof. Stefan Leupertz: Dass Fachkräfte, gerade im Ingenieurbereich fehlen, hat meines Erachtens mehrere Gründe: Einer besteht darin, dass Ingenieur*innen sich mit der Entwicklung (technischer) Lösungen und nicht mit der Verwaltung eines Bauprojekts und der Begleitung und Abarbeitung von Streitigkeiten beschäftigen wollen. So betrachtet wird ein großer Teil der Arbeit und der Kompetenz von Ingenieur*innen und anderen Fachkräften „verschwendet“. Agiles Bauprozessmanagement hilft dabei, solche Verschwendung zu reduzieren und die Fachleute wieder näher an die Fragen heranzuführen, die sie wirklich interessieren und deren Beantwortung dem Projekt zum Erfolg verhilft. Daraus entstehen Effizienzgewinne, die sich am Ende dann auch auf die Verfügbarkeit einer ausreichend großen Zahl von Fachkräften auswirken, die für die Realisierung eines Bauprojekts benötigt werden. Allein durch die Implementierung agiler Managementprozesse werden wir allerdings die Auswirkungen des Fachkräftemangels nicht in den Griff kriegen.
Welche Maßnahmen können wir gegen den Fachkräftemangel in der Baubranche ergreifen? Und wie gehen wir mit der Fluktuation von Mitarbeitenden in den Unternehmen und dem daraus resultierenden Kompetenzverlust um?
Prof. Stefan Leupertz: Zunächst einmal haben wir es nach meiner Wahrnehmung ganz allgemein mit einem Qualitätsverlust in Bildung und Ausbildung zu tun. Das wiederum ist aus meiner Sicht ein gesamtgesellschaftliches Problem, das hier nicht näher erörtert werden kann. Entscheidend ist allerdings auch der soeben bereits ventilierte Gedanke, dass wir Ingenieur*innen und anderen Fachkräften im Baugeschäft Rahmenbedingungen und Tätigkeitsfelder bieten müssen, in denen sie sich auskennen und mit denen sie sich gerne beschäftigen. Das ist – jedenfalls für viele – sicher nicht die Bearbeitung von Nachträgen und Bauablaufstörungen. Kurz: Bauingenieur*in wird man, weil es eine faszinierende Aufgabe ist, Bauwerke entstehen zu lassen. Um möglichst viele für solche Aufgaben zu begeistern, müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, unter denen möglichst konfliktarm und zugleich innovationsgetrieben gebaut werden kann. Dann werden sich auch wieder mehr junge Leute für eine attraktive Karriere als Bauingenieur*in oder Bauhandwerker*in entscheiden. Und, vielleicht noch wichtiger: Die Abwanderung (noch) vorhandener Kompetenz kann, meiner Meinung nach, nur so gestoppt werden.
Welche Rolle spielen gezielte Weiterbildungen, um qualifiziertes Personal zu finden, zu fördern und zu halten?
Prof. Stefan Leupertz: Das kann ich im Detail schwer einschätzen, weil ich mit derartigen Fragen in meinem beruflichen Umfeld nicht befasst bin. Mir scheint allerdings klar zu sein, dass die soeben geäußerten Gedanken zur Attraktivität des Bauingenieurberufs Hand in Hand gehen müssen mit interessanten Bildungs- und Weiterbildungsangeboten, gerade auch im Bereich von Lean und IPA.
Wie können Unternehmen trotz allem ihre Wachstumsziele sowie Wettbewerbsvorteile erreichen?
Prof. Stefan Leupertz: Wir müssen dringend zu einer von Kooperation und Kollaboration getragenen Projektkultur finden, die Schluss macht mit jahrzehntelang eingeübten Projektstrukturen, mit denen ein verdeckter, auf Intransparenz beruhender Wettbewerb organisiert wird, und die nach dem Prinzip funktionieren, Nichtlösungen mit den Mitteln des Vertragsrechts zu sanktionieren, anstatt den Beteiligten einen belastbaren rechtlichen Rahmen zu liefern, in dem sie gemeinsam nach Lösungen suchen können, ohne ihre ökonomischen Interessen preisgeben zu müssen. Nur in einem solchen Umfeld findet im Übrigen Innovation statt, ganz zu schweigen von der Realisierung ambitionierter Nachhaltigkeitsziele im Zusammenspiel mit der Herstellung bezahlbaren Wohnraums. Wer das versteht und sich entsprechend ausrichtet, wird auch zukünftig im Wettbewerb bestehen.
Bleiben Fortschritt und Innovationen durch Fachkräftemangel auf der Strecke? Wo geht die Entwicklung hin?
Prof. Stefan Leupertz: Das ist letztendlich eine Frage von Ursache und Wirkung. Nach meiner Überzeugung werden sich Fortschritt und dringend benötigte Innovationen nur dann einstellen, wenn wir den Bauschaffenden die hierfür benötigte Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit einräumen und rechtliche Rahmenbedingungen festlegen, die solche Freiheiten zulassen und einfordern. Tatsächlich findet Bauen allerdings in einem hoffnungslos überregulierten, innovationsfeindlichen Umfeld statt, in dem der Gestaltungswille und die Gestaltungskraft der Bauschaffenden stark behindert, in Teilen gar erstickt wird. Wenn wir das wieder ändern, wird sich auch am Bau wieder eine fachliche Kompetenz einfinden, für die wir bis noch vor nicht allzu langer Zeit weltweit berühmt waren.