Neue Forschungstrends in additiven Fertigungsverfahren

Die additive Fertigung hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt und bietet zahlreiche Möglichkeiten zur Herstellung komplexer Bauteile. Die in diesem Beitrag beschriebenen Forschungstrends sind an oder in Kooperation mit dem Lehrstuhl Hybrid Additive Manufacturing (HAM) der Ruhr-Universität Bochum (RUB) entstanden und umfassen verschiedene Bereiche der additiven Fertigungsprozesskette:

1) Innovative Belichtungsstrategien basierend auf thermomechanischen Simulationen zur Reduzierung des Bauteilverzugs beim pulverbettbasierten Metallschmelzen mittels Laserstrahl (PBF-LB/M).

2) Verarbeitung von reinem Kupfer mit dem pulverbettbasierten Metallschmelzen mittels Elektronenstrahl (PBF-EB/M) zur Herstellung komplexer Bauteile mit hervorragender elektrischer Leitfähigkeit.

3) Additive Fertigung mittels thermischer Materialextrusion von Kunststoffen (MEX-TRB/P) unter Verwendung von Granulaten.

4) Oberflächennachbearbeitung von additiv hergestellten Kunststoffbauteilen durch chemisches Glätten zur Erweiterung des Einsatzes in der Automobilbranche.
 

Neue Belichtungsstrategien durch thermomechanische Simulationen

Im Rahmen des IGF-Projektes „Reduktion des in-situ Verzugs und der Konturüberhöhung durch material- und geometriespezifische Parameteranpassung im PBF-LB/M-Prozess“ (IGF-Vorhaben Nr.: 22690N/2) wurden auf Basis von thermomechanischen Simulationen Belichtungsstrategien entwickelt, welche beim pulverbettbasierten Schmelzen mittels Laserstrahl von metallischen Werkstoffen zur Reduktion des auf Eigenspannungen basierenden Verzugs führen. Grundlage hierfür sind thermomechanische Modelle, die vom Institut ISEMP der Universität Bremen erstellt wurden. Zur Kalibrierung und Validierung der Simulation wurde am Lehrstuhl HAM der Ruhr-Universität Bochum das Gehäuse der vorhandenen PBF-LB/M-Anlage AconityMIDI so modifiziert, dass automatisiert thermografische Messungen des Prozesses aber auch in-situ Verzugsmessungen in Aufbaurichtung durchgeführt werden können.

Abbildung 1: Reduktion des Verzugs von Propellerschaufeln aus AlSi10Mg bei Verwendung der neu entwickelten innovativen Belichtungsstrategie

Abbildung 1 zeigt eine deutliche Reduktion des Verzugs von Propellerschaufeln aus AlSi10Mg bei Verwendung der neu entwickelten innovativen Belichtungsstrategie. Wichtig hierbei ist, dass Belichtungsparameter eingesetzt werden können, welche auch außerhalb von Überhangsbereichen zur Fertigung dichter Bauteile geeignet sind. Bei Übertragung der Belichtungsstrategie auf eine andere Anlage kann somit der Standardparametersatz für das jeweilige Material verwendet werden, ohne dass neue Parameterstudien notwendig werden. Der im Laufe des Projektes entwickelte Hatching-Algorithmus ist in der Lage komplexe Bauteile zu slicen und lokal die Scanstrategie anzupassen.
 

Pulverbettbasiertes Schmelzen von reinem Kupfer mittels Elektronenstrahl

Beim pulverbettbasierten Schmelzen von reinem Kupfer mittels Elektronenstrahl wird Kupferpulver in einer Vakuumatmosphäre schichtweise lokal und selektiv mit einem Elektronenstrahl aufgeschmolzen. Wie auch bei anderen additiven Fertigungsverfahren wird hierdurch die Herstellung komplexer Bauteile, die mit konventionellen Fertigungsverfahren nicht oder nur mit hohem Kostenaufwand hergestellt werden können, ermöglicht (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Komplexe Beispielbauteile, hergestellt durch pulverbettbasiertes Schmelzen von reinem Kupfer mittels Elektronenstrahl.

Abbildung 3: Stringing-Tests mit jeweils 0,4 mm dicken und 15 mm langen Stegen aus ABS und einem Abstand von 20 mm voneinander. Starkes Stringing (a) mit herkömmlichem FGF-Ansatz und kein Stringing (b) mit neuartigem, innovativem FGF-System.

Dieses additive Fertigungsverfahren eignet sich besonders für die Verarbeitung von Bauteilen aus hochreinem Kupfer, da die Vakuumatmosphäre die Oxidation des Kupfers bei der Verarbeitung reduziert. Zudem ermöglicht der Elektronenstrahl die einfache und gezielte Bereitstellung der zum Schmelzen des Pulverwerkstoffs notwendigen Energie. Die hervorragenden Prozessbedingungen ermöglichen die Herstellung von nahezu defektfreien Bauteilen aus reinem Kupfer mit einer relativen Dichte von nahezu 100 % und hervorragenden physikalischen Eigenschaften, wie bspw. einer elektrischen Leitfähigkeit über 102 % IACS (International Annealed Copper Standard, 100 % entspricht 58 MS•m-1, DOI: doi.org/10.1051/matecconf/202440605001). Anwendung finden additiv gefertigte Bauteile aus Kupfer bspw. als Induktoren oder Wärmetauscher.
 

Kleinskalige Materialextrusion unter Verwendung von Granulaten

Die Ergebnisse werden im Rahmen des ZIM-Projektes „Entwicklung einer Plastifiziereinheit für die kleinskalige Fused Granular Fabrication (FGF) mit kontinuierlicher und homogener Schichtablage und intelligenter Retraction Control“ (Förderkennzeichen: KK5055219KL2) entwickelt. Im Gegensatz zu etablierten Materialextrusionsverfahren, bei dem Filamente verwendet werden, basiert der „Fused Granular Fabrication“ (FGF) Prozess auf der Verwendung von Kunststoffgranulaten. Als Ausgangsform sind die Granulate im Vergleich zu den Filamenten kostengünstiger und leichter verfügbar. Zudem ermöglicht der Prozess die Verwendung von zertifizierten Werkstoffen mit spezifischer Typisierung.
Neben den FGF-Systemen, welche im großskaligen Bereich mit hohen Materialdurchsätzen angesiedelt sind (1 – 100 kg/h), wird hier angestrebt, die Vorteile der FGF basierten Fertigung in den kleinskaligen Bereich zu überführen. Durch den geringen Materialdurchsatz von nur 0,01 – 0,02 kg/h, ähnlich dem eines mit Filament arbeitenden Systems, kommt es bei auf dem Markt befindlichen Systemen zu Austragsschwankungen, was die Druckqualität negativ beeinflusst. Ein typisches Defektbild ist das „Stringing“, welches ungewollte Materialfäden auf einem Objekt bzw. zwischen zwei Objekten bezeichnet (Abbildung 3).

Abbildung 4: REM-Aufnahme einer unbehandelten (a) und chemisch geglätteten (b) PBF-LB/P/PA12 Oberfläche.

Im Rahmen dieses kooperativen Forschungsprojektes mit den Projektpartnern ETA Kunststofftechnologie GmbH und Impetus Plastics Engineering GmbH konnten durch innovative Ansätze und die Entwicklung eines neuartigen FGF-Systems die Fertigungsqualität erheblich gesteigert und das Stringing durch eine präzise Steuerung des Schmelzflusses vermieden werden. Ein weiterer Vorteil des FGF-Verfahrens ist die Möglichkeit, rezykliertes Material direkt zu verarbeiten. Hierzu wird aktuell an der prozessspezifischen Materialalterung geforscht, um Erkenntnisse für den Recyclingprozess zu gewinnen.
 

Oberflächennachbearbeitung von additiv gefertigten Kunststoffbauteilen

Die Oberfläche von Bauteilen beim pulverbettbasierten Kunststoffschmelzen mittels Laserstrahl (PBF-LB/P) ist für ihre raue Struktur bekannt, wobei die Oberflächenrauheit einen erheblichen Einfluss auf die mechanischen und funktionalen Eigenschaften der Bauteile hat. Ein bekanntes Nachbearbeitungsverfahren ist in diesem Zusammenhang das chemische Glätten, das durch jüngste Weiterentwicklungen und Industrialisierung des Prozesses zunehmend attraktiv für den Einsatz in der Automobilindustrie wird.
Ziel der Untersuchungen ist es daher, die Einflüsse des Verfahrens auf die Oberflächen- und Bauteileigenschaften zu quantifizieren. Die Ergebnisse zeigen Vorteile in der funktionalen Anwendung von Bauteilen durch Ausbildung einer in sich geschlossenen Randschicht gegenüber dem unbehandelten Zustand (siehe Abbildung 4).

Zu den Vorteilen zählen eine Reduktion der Oberflächenrauheit, eine Steigerung der Bruchdehnung bei nahezu gleicher Zugfestigkeit und E-Modul, eine reduzierte Wasseraufnahme und erhöhte Beständigkeit gegenüber Umwelteinflüssen sowie eine gesteigerte wahrgenommene Wertigkeit durch die Homogenisierung der Oberfläche. Darüber hinaus bietet das chemische Glätten durch Verwendung eines dampfförmigen Lösemittels einen nahezu geometrieunabhängigen Ansatz und unterstützt dadurch die Designfreiheit additiver Fertigungsverfahren.

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Über den Autor:

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jan T. Sehrt, Ruhr-Universität Bochum

Jan Sehrt ist Universitätsprofessor und Inhaber des Lehrstuhls Hybrid Additive Manufacturing (HAM) an der Fakultät Maschinenbau der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Er beschäftigt sich auf seinem Forschungsgebiet mit verschiedenen additiven Fertigungsverfahren (PBF-LB/M, PBF-EB/M, PBF-LB/P, MEX-TRB/P), der Werkstoffqualifizierung, -modifizierung und -manipulierung sowie der Integrierung von Sensorik, Aktorik und Elektronik.

Co-Autoren:

M.Sc. Niklas Ostermann, Ruhr-Universität Bochum
M.Sc. Robert Ortmann, Ruhr-Universität Bochum
M.Sc. Luca Bürgel, Ruhr-Universität Bochum
M.Sc. Paul Oehlmann, BMW AG