Innovation, die bremst: Forschungsansätze im Kontext nasser Fahrzeugbremsen

Ein zentraler Baustein nachhaltiger Elektromobilität ist die Emissionsfreiheit und damit die Reduktion und Vermeidung von CO2-Emissionen, Reifenabrieb und Bremsstaub. Eine technologische Möglichkeit, Bremsstaub zu eliminieren, sind nasse Fahrzeugbremsen [1]. Da nasse Mehrscheibenbremsen im Gegensatz zu trockenen Scheibenbremsen nicht luft- sondern ölgekühlt sind, werden Verschleißpartikel im Öl gebunden und gelangen nicht in die Umwelt.

In der Elektromobilität werden die meisten Bremsvorgänge über Rekuperation realisiert, sodass die mechanische Fahrzeugbremse nur noch bei Notbremsungen oder dann zum Einsatz kommt, wenn aufgrund des begrenzten Ladestroms der Batterie keine Rekuperation möglich ist. In diesem geänderten Lastprofil wird die Fahrzeug-bremse nur noch in Ausnahmefällen aktiviert. Ein häufig beobachtetes Problem bei Elektrofahrzeugen ist daher die Korrosion der trockenen Scheibenbremsen aufgrund der seltenen Nutzung, was zu Funktionseinschränkungen bis hin zu verkürzten Wechselintervallen führen kann. Die nasse Fahrzeugbremse hingegen läuft im Öl und korrodiert daher nicht. Nasse Reibbeläge sind zudem äußerst verschleißbeständig. Bei richtiger Auslegung kann näherungsweise Verschleißfreiheit erreicht werden, sodass eine Lebensdauerkonzeption erreicht wer-den kann, was zu niedrigeren Servicekosten führt.

Da die nasse Fahrzeugbremse nicht luft- sondern ölgekühlt ist, kann diese statt im Rad innenliegend auf der Achse oder sogar im Getriebe positioniert werden. Diese Verlagerung reduziert die ungefederten Massen im Rad und eröffnet weitere Potenziale für aerodynamisch optimierte Räder.

Darüber hinaus eröffnet die nasse Fahrzeugbremse die Möglichkeit, die entstehende Wärme beim Bremsen nicht, wie bei herkömmlichen Bremsen an die Umgebung abzugeben, sondern in einem ganzheitlichen Thermomanagement zur Erwärmung von Antriebskomponenten wie Batterie oder Getriebeöl zu nutzen. Dies kann vor allem bei kalten Temperaturen die Effizienz des gesamten E-Antriebsstrangs steigern.
 

Herausforderungen

Den Potenzialen stehen diverse Herausforderungen bei der Gestaltung der nassen Fahrzeugbremse und des gesamten Antriebsstrangs entgegen.

Für eine optimale Effizienz des Antriebsstrangs sind die Schlepp- und Strömungsverluste der ölgekühlten Bremse durch optimiertes Design und bedarfsgerechte Beölung zu minimieren.

Für Betriebssicherheit und optimales Funktions- und Komfortverhalten muss ein stabiles und optimales Reibungsverhalten in allen Betriebszuständen (spezifische Lasten und Umgebungsbedingungen) sichergestellt sein – auch bei seltener Aktuierung der Bremse. Spontanschäden müssen sicher vermieden werden und auch eine Langzeitschädigung ist im Sinne der Wartungsfreiheit und Lebensdauerkonzeption auszuschließen.

Abbildung 1: Temperaturverläufe mittels FEM und KI in der Kupplung im Instationärschlupf

Forschungsansätze

An der FZG wurde in Forschungsprojekten eine Vielzahl an Methoden erarbeitet, die sich effektiv auf die Erforschung und Entwicklung nasser Fahrzeugbremsen anwenden lassen. Im Folgenden werden ausgewählte Methoden vorgestellt.

Die Schleppmomente der nassen Bremse im Zyklus lassen sich bereits in frühen Entwicklungsphasen für verschiedene Baugrößen, Nutmuster, Beölungssituationen und Belastungen mittels eines Methodenträgers zur KI-basierten Schleppmomentprädiktion abschätzen [2]. Zudem liefern CFD-Simulationen wertvolle Informationen zu Schleppmomentverhalten und Ölverteilung in der Bremse [3]. Das Separationsverhalten der Lamellen und dessen Einfluss auf das Schleppverlustverhalten kann mittels der in [4] vorgestellten Methode über Machine Vision quantifiziert und optimiert werden. Der Eintrag von Verschleißpartikeln oder Wasser ins Öl kann zu Reibschwingungen und damit relevanten Komfort- und Funktionseinschränkungen führen. [5] liefert eine Methode zur systematischen Untersuchung des Reibungs- und Reibschwingverhaltens bei Wassereintrag und Eiseneintrag durch Verschleiß. Das Spontan- und Langzeitschädigungsverhalten wird vorrangig durch die auftretenden Temperaturen im Reibkontakt bestimmt. Neben thermischen Simulationen [6] und thermo-mechanischen Simulationen [7] liefern auch KI-basierte Methoden in kürzester Zeit belastbare Ergebnisse [8]. Abbildung 1 zeigt mittels FEM und einer KI-basierten Methode ermittelte Temperaturverläufe über Zeit für eine mit definierter Axialkraft beaufschlagten Kupplung im Instationärschlupf.

Darüber hinaus existieren Methoden zur experimentellen Ermittlung des Einlauf-, Reibungs- und Funktionsverhaltens [9], [10] sowie des Schädigungsverhaltens bzgl. Spontan- und Langzeitschäden.

Die Anwendung nasser Fahrzeugbremsen ist nicht auf den Automobilbereich begrenzt, sondern auch für weitere Mobilitätskonzepte wie Nutz- und Schienenfahrzeuge ein vielversprechender technologischer Ansatz.

Quellen

[1] zedu1: Zero Emission Drive Unit Generation 1, Abschlussbericht, DLR, Stuttgart (2023)
[2] L. Pointner-Gabriel, et al., A methodology for data-driven modeling and prediction of the drag losses of wet clutches, Forsch Ingenieurwes 87 (2023) 555–570, https://doi.org/10.1007/s10010-023-00661-y
[3] D. Groetsch, et al., Volume of Fluid vs. Cavitation CFD-Models to Calculate Drag Torque in Multi-Plate Clutches, SAE Technical Papers (2020), https://doi.org/10.4271/2020-01-0495 
[4] L. Pointner-Gabriel, et al., A methodology for imagebased measurement of plate movement in disengaged wet clutches, Sci. Rep. (2024), https://doi.org/10.1038/s41598-024-58012-y
[5] J. Wirkner, et al., Influence of Water Contamination, Iron Particles, and Energy Input on the NVH Behavior of Wet Clutches, Lubricants (2024), https://doi.org/10.3390/lubricants11110459
[6] K. Voelkel, et al., Cooling performance of wet multi-plate disk clutches in modern applications, VDI Berichte, 2017, pp. 215–226
[7] T. Schneider, et al., Analysis of the Thermo‐Mechanical Behavior of a Multi‐Plate Clutch during Transient Operating Conditions Using the FE Method, Lubricants (2022), https://doi.org/ 10.3390/lubricants10050076
[8] T. Schneider, et al., Enhanced prediction of thermomechanical systems using machine learning, PCA, and finite element simulation, Adv. Model. Simul. Eng. Sci. (2024), https://doi.org/10.1186/s40323-024-00268-0
[9] K. Voelkel, et al., Running-in behavior of wet multi-plate clutches in slip operation mode, Forsch Ingenieurwes 85 (2021) 905-912, https://doi.org/ 10.1007/s10010-021-00530-6
[10] P. Strobl, et al., Holistic Measurement of the Friction Behavior of Wet Clutches, Lubricants (2024), https://doi.org/10.3390/lubricants12070235