Ethernet-APL: Bereit für die Praxis

Die Erwartungen an Ethernet-APL in der Prozessindustrie sind enorm. Nicht zuletzt die Datenrate von 10 Mbit/s stellt beispielsweise gegenüber dem HART-Protokoll oder PROFIBUS PA sowie Foundation Fieldbus H1 eine signifikante Verbesserung dar. Doch kann die Ethernet-basierte Übertragungstechnik die Erwartungen erfüllen? Damit wird sich ein Vortrag im Rahmen des 25. Automatisierungskongresses intensiv aus verschiedenen Blickwinkeln beschäftigen. Das Wichtigste vorab: In verschiedenen Feldversuchen und Studien konnte Ethernet-APL nun beweisen, dass es den hohen Ansprüchen gerecht wird.
 

Bei Ethernet-APL handelt es sich um eine noch vergleichsweise junge Technologie. Die Veröffentlichung erfolgte im Juni 2021. Ein Hauptaspekt für die Entwicklung: Mit dem Fortschritt der Digitalisierung in der Prozessindustrie wachsen auch die über intelligente Sensoren und Aktoren verfügbaren Datenmengen kontinuierlich und erfordern daher leistungsstärkere Übertragungstechnologien. Diese Bedarfslücke soll in Zukunft Ethernet-APL schließen. Erst in den vergangenen gut anderthalb Jahren ist sukzessive eine nennenswerte Anzahl von Ethernet-APL-Produkten in den Markt gekommen.
 

Kommunikation über weite Strecken

Energie und Daten werden bei dieser Übertragungstechnik über ein einziges Aderpaar (Single Pair Ethernet) übertragen. Mittels der vollduplex-fähigen und schnellen Datenübertragung ist die Kommunikation über weite Strecken und selbst in explosionsgefährdeten Bereichen möglich. Um die Installation zu erleichtern und die Konnektivität der verwendeten Geräte zu optimieren, steht die Ethernet-APL Engineering-Richtline in deutscher und englischer Sprache zur Verfügung. Diese Richtlinie liefert grundlegenden Informationen zum Aufbau, zur Auslegung und zur Ex-Planung von Ethernet APL.
 

Erwartungen in Feldversuchen erfüllt

Doch wie steht es konkret um die Performance von Ethernet-APL? Die Hochschule Hannover und die Endress+Hauser Digital Solutions haben unabhängig voneinander verschiedene Fragestellungen in dieser Hinsicht bearbeitet – mit sehr positiven Resultaten. So haben durchgeführte Belastungstests von Endress+Hauser in einer praxisnahen Konfiguration mit Komponenten verschiedener Hersteller die Erwartungen erfüllt: Die Tests bestätigten die durchgängige Funktionsfähigkeit aller Komponenten unter Maximalausbaubedingungen. „Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung von Ethernet-APL als wichtigen Fortschritt in der industriellen Kommunikation“, sagt Frank Birgel von Endress+Hauser Digital Solutions, einer der Co-Referenten des Vortrags.

Allein in der ersten Testreihe wurden nahezu 240 Messumformer (Durchfluss, Druck, Temperatur und Füllstand) an einem Ethernet-APL-Netzwerk eingesetzt. Dabei übertrafen die Testergebnisse die Erwartungen: Ethernet-APL in Kombination mit PROFINET erwies sich unter realen Einsatzbedingungen als robust und zuverlässig. Die Tests wurden mit maximaler Netzwerkkapazität durchgeführt und zeigten, dass Skalierbarkeit und Fehlerresistenz gewährleistet sind. Alle kritischen Anforderungen, wie Netzwerkgesamtlast und Zeiten für Redundanzwechsel, wurden nicht nur erreicht, sondern übertroffen.

„Die unterschiedlichen Komponenten harmonieren gut miteinander und die Systeme funktionieren zuverlässig. Dieser bedeutende Schritt, um den Ethernet-Standard in die Prozessautomatisierung auf Feldebene zu integrieren, ist somit gelungen“, unterstreicht Birgel weiter. Der performante Zugriff auf Daten von Feldgeräten eröffnet neue Effizienz- und Effektivitätsstufen in der Prozessautomatisierung.
 

Performance unter Realbedingungen getestet

Um die Auswirkungen von Überlastszenarien auf die Performance künftiger voll Ethernet-basierter Netzwerke zu bewerten, hat Lukas Krapp, weiterer Co-Referenten des Beitrags, im Rahmen seiner Masterarbeit an der Hochschule Hannover in einer Studie das Verhalten von zwei realen Ethernet-APL-Switches in einer Umgebung mit unterschiedlichen Verbindungsgeschwindigkeiten untersucht. Insbesondere Paketverluste von hoch-priorisiertem Echtzeitverkehr dürfen nicht auftreten, da es sonst zu Fehlfunktionen in der Anlage kommen kann. Dafür wurden diverse Messungen an den entsprechenden APL-Switches vorgenommen, basierend auf verschiedenen Testszenarien mit unterschiedlicher Paketflussrichtung, Netzbelastung und Paketpriorisierung.

Die Tests stützten sich auf zwei aus der Praxis abgeleitete Best-Practice-Beispiele für Netzwerktopologien mit unterschiedlichen Verbindungsgeschwindigkeiten, bestehend aus der Kombination von zwei Physical-Layern, einer 100 Mbit/s Industrial Ethernet und einer 10 Mbit/s Ethernet-APL Ebene, in denen die APL-Switches getestet wurden. „Zusammenfassend ergaben die Messungen, dass die APL-Switches in der Lage sind, anlagenrelevante Echtzeitpakete erfolgreich unter den geforderten Bedingungen ohne Paketverluste zu empfangen, bearbeiten und durchzuleiten. Selbst bei stark überhöhter Paketlast über diese Anforderungen hinaus behielten die APL-Switches in den meisten Testszenarien ihre korrekte Funktionsweise bei, was die Erwartungen an reale Anwendungsbedingungen deutlich übertraf“, schildert Krapp.

Darüber hinaus haben die APL-Switches in allen getesteten Lastsituationen bewiesen, dass diese konform zur IEE 802.1Q – bei Bedarf – den hoch-priorisierten Echtzeitverkehr gegenüber dem, gering-priorisierten Nicht-Echtzeitverkehr bevorzugt haben. Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass die Analyse des Paketdurchsatzes der APL-Switches gezeigt hat, dass das Risiko des Verlusts von Paketen mit anlagenrelevanten Echtzeitinformationen in den untersuchten Netzwerken mit variierender Verbindungsgeschwindigkeit relativ niedrig ist und somit keine Beeinträchtigung der korrekten Netzwerkfunktion zu befürchten ist. Lukas Krapp weiter: „Daraus folgt, dass die zukünftige Implementierung von Netzwerken mit gemischten Verbindungsgeschwindigkeiten (engl. ‘mixed link speed’ networks) bei korrekter Gerätekonfiguration keine Herausforderung für die korrekte Netzwerkfunktionalität sicherstellen sollte.“
 

Perspektiven für eine zeitnahe Verbreitung

Karl-Heinz Niemann, Professor für Prozessinformatik & Automatisierungstechnik an der Hochschule Hannover und ebenfalls einer der Co-Referenten im Rahmen des Automatisierungskongresses, zeigt sich überzeugt: „Die Einführung von Ethernet-APL verfügt über sehr gute Erfolgsaussichten für eine zeitnahe Verbreitung in der Prozessindustrie.“ Ein wesentlicher Vorteil: Mit Ethernet-APL wird die Realisierung eines durchgängigen Automatisierungsnetzwerks bis zum Sensor/Aktor auf Ethernet-Basis möglich. Dadurch können alle Teilnehmer Daten über ein einheitliches Ethernet-Netzwerk und Protokolle wie PROFINET, EtherNet/IP, OPC UA und MQTT austauschen, ohne dass Gateways für die Protokollanpassung nötig sind.
 

Umfassende vertikale Integration

Prof. Niemann unterstreicht abschließend: „Die vertikale Integration von der Feldebene bis zur Betriebsleitebene wird damit Wirklichkeit. Ethernet-APL ermöglicht OT-Sicherheit (Security) in Verbindung mit funktionaler Sicherheit (Safety) im selben Netzwerk.“ Aus Sicht des Automatisierungs-Experten gibt es somit zahlreiche überzeugende Gründe, den Schritt hin zur digitalen Sensor-/Aktor-Kommunikation zu gehen. Im Rahmen des Kongresses wird er auf Basis der vorgestellten Ergebnisse unter anderem Empfehlungen zur Planung von Ethernet-APL-Netzwerken geben.

Die Autoren:

Foto: Hochschule Hannover

Prof. Karl-Heinz Niemann

Foto: privat

Lukas Krapp

Foto: Endress+Hauser Digital Solutions

Frank Birgel

Testaufbau bei Endress+Hauser Digital Solutions:

Fotos: Endress+Hauser Digital Solutions

Hardwaretest L. Krapp Hochschule Hannover:

Grafiken: L. Krapp, Hochschule Hannover