Ermüdungslebensdaueranalyse von POM-Zahnrädern

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Eine Lebensdauermodellierung von Kunststoffzahnrädern bedingt experimentelle Versuche, eine physikalische Materialmodellierung, die daraus resultierende Simulation unter Berücksichtigung dynamischer Effekte und ein Schädigungsmodell.

Kunststoffzahnräder gewinnen aufgrund ihrer Vorteile zunehmend an Beliebtheit in verschiedenen Branchen. Die aktuelle Standardberechnungsmethoden (VDI 2736) basiert auf Annahmen für Stahlzahnräder und führt somit zu unzureichenden Lebensdauervorhersagen. Hierzu gehören eine Starrkörperannahme, linear-elastische Materialeigenschaften sowie drehzahlunabhängige Lebensdauervorhersagen, welche jedoch nicht mit den nichtlinearen, dehnratenabhängigen Materialeigenschaften von Kunststoffen übereinstimmen. Ein neuer Ansatz der Lebensdauermodellierung bezieht das nichtlineare viskoplastische Materialverhalten und dynamische Belastungseffekte in einer FE-Simulation (Finite Elemente) mit ein, um die Lebensdauerabhängigkeit des Zahnfußbruches von der Drehzahl und der Zahnfußgeometrie vorherzusagen. Hierfür wird ein Schädigungsmodell eingeführt, das durch zwei verschiedene Schädigungsmechanismen der Kunststoffe motiviert ist: die thermische oder mechanische Zerstörung der Molekularbindungen.
 

Materialmodellierung als Ausgangspunkt

Im Rahmen eines FVA-Forschungsprojektes wird der Versagensmechanismus Zahnfußbruch untersucht, welcher durch eine Überschreitung der Ermüdungsgrenze des Materials bei einer Zugbelastung am Zahnfuß eintritt. Kunststoffe zeigen gegenüber Stahl ein nichtlineares und transientes Materialverhalten mit geringerer Steifigkeit, wodurch Materialdämpfung eine signifikante Rolle im dynamischen Belastungsverhalten des Zahnradpaares spielt und die Zahnfußbelastung maßgeblich beeinflusst. Aufgrund der Unterschiede im Ermüdungsverhalten beider Materialien sind bisherige dehnungsbasierte Ermüdungsmodelle nicht direkt auf Kunststoffzahnräder übertragbar. Daher wurde ein neues Lebensdauermodell entwickelt, welches auf dem TNV-Modell (Three Network Viscoplastic) [2,3] zur physikalischen Abbildung des viskoplastischen Materialverhaltens von POM basiert.

Bildquelle: IMES, ZHAW

Ablauf Materialmodellkalibrierung mit anschließender Validierung

Durch hoch dynamische irreversible und quasi-statische reversible Materialversuche, bei einer Temperatur von 50°C (Temperatur der Ölschmierung im Zahnradprüfstand), wird das Materialmodell kalibriert. Das Materialverhalten von POM kann durch das kalibrierte TNV-Modell adäquat approximiert werden, wobei sämtliche Eigenschaften, wie Plastizität, Nichtlinearität, Dehnratenabhängigkeit und Viskosität, berücksichtigt werden. Durch parallele Versuche an den aus Zahnrädern entnommenen Proben kann die Materialmodellierung validiert und deren Gültigkeit für mehrachsige Spannungszustände überprüft werden.
 

Zahnradpaar als komplexes schwingendes System

Durch jeden Zahneingriff entsteht eine stoßartige Belastung zwischen POM- und Stahlrad, wodurch das Zahnradpaar ein schwingendes System wird. Aufgrund der geringeren Steifigkeit von Kunststoff gegenüber Stahl führt dies in Kombination mit dem Lastmoment besonders beim POM-Rad zu starken Deformationen, welche wiederum das Eingriffsverhältnis und die Zahnfußbelastung beeinflussen. Die Materialdämpfung des Polymers spielt bei diesem hoch dynamischen Prozess eine entscheidende Rolle und kann nur auf Grundlage der physikalischen Materialmodellierung in der FE-Simulation des Zahneingriffs berücksichtigt werden.

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Ermittlung der stationären Schwingung eines Zahnradpaares als Grundlage für eine dynamische Simulation

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Schematische Darstellung von (a) Korrelation zweier Schädigungsgrößen an aufgetrennte experimentelle Daten (b) Vorhersage der Lebensdauer NP im Drehzahlspektrum als Einhüllende der Schädigungsfunktionen ND1 und ND2

Um die Realität so nah wie möglich abzubilden, ist es erforderlich, dass die Randbedingungen des Simulationsaufbaus mit denen des Zahnradprüfstands übereinstimmen. Daher wird eine konstante Drehzahl n für das treibende POM-Rad sowie ein konstantes Lastmoment M für das getriebene Stahlrad angenommen. Auf dem Prüfstand wird das Lastmoment sanft von Null bis zum Nennmoment erhöht, um eine schlagartige Belastung der Verzahnung zu vermeiden. In einer dynamischen Simulation führt diese zeitaufwendige Lastaufbringung zu immensem Rechenaufwand und ist wenig praktikabel. Stattdessen wird, durch ein im Rahmen dieses Projektes entwickeltes Vorgehen, eine Schwingungsanalyse an dem komplett verzahnten Zahnradpaar vorgenommen, um die stationäre Schwingung zu ermittelt. Diese kann dann als Randbedingung auf ein teilverzahntes Zahnradpaar aufgebracht werden, um die Gleichgewichtssituation des Prüfstandes zu erreichen. Durch die Methode lässt sich Rechenzeit einsparen und auch konsekutive Belastungszyklen können berechnet werden.


Lebensdauervorhersage durch geeignete Schädigungsgrößen

Startpunkt der Schädigungsmodellierung sind die experimentellen Daten des Prüfstandes und die Simulationsresultate des Abwälzprozeßes, sprich die Zahnfußbelastung. Die experimentellen Lebensdauern Nf zeigen im Drehzahlspektrum eine charakteristische Abhängigkeit, welche zu einem lokalen Lebensdauermaximum führt. Mit zunehmender Drehzahl steigt die Lebensdauer, bis sich der Trend von diesem Maximum aus umkehrt und die Lebensdauer wieder sinkt. Diese Beobachtung lässt den Schluss zu, dass zwei Schädigungseffekte mit entgegengesetzter Ratenabhängigkeit im Kunststoff wirken: die mechanische und die thermische Zerstörung von Molekülbindungen. Dies bedeutet, dass zwei Schädigungsmechanismen existieren, die in Abhängigkeit von der Dynamik der Belastung gegenläufig sind und bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten jeweils der eine oder andere dominiert. Hierbei wird von keiner Interaktion der Mechanismen ausgegangen, der stärker beanspruchte Mechanismus bestimmt die Lebensdauer. Diese Hypothese bedingt die Einführung von zwei Schädigungsparametern.

Die Suche nach geeigneten Schädigungsgrößen findet im Bereich der durch die FE-Simulation mit der physikalischen Materialmodellierung bestimmten Materialzustände an der Rissinitiierungsstelle statt. Eine Analyse hat ergeben, dass eine auf der maximalen Hauptdehnung basierenden Größe D1 mit dem initialen Anstieg der Lebensdauer (tiefe Drehzahlen) korreliert. Physikalisch betrachtet kann der dazugehörige Schädigungsmechanismus als eine mechanische Zerstörung der molekularen Bindungen des Kunststoffes bei tiefer Belastungsgeschwindigkeit interpretiert werden. In Kontrast dazu entspricht der Schädigungsparameter D₂ der viskoplastischen Dehnungsenergiedichte am Ort der Rissentstehung und gibt Auskunft über die Energiedissipation. Diesbezüglich kann D₂ als direkter Indikator für die lokale Erwärmung betrachtet werden, sodass der Mechanismus von D₂ als Maß für die thermische Zerstörung von Molekülbindungen angesehen werden kann. Er korreliert mit der sinkenden Lebensdauer bei hohen Drehzahlen.

Eine Anwendung der vorgestellten Lebensdauermodellierung hat gezeigt, dass eine von Zahnfußgeometrie und Drehzahl unabhängige Vorhersage der Lebensdauer bei konstantem Lastmoment möglich ist. Weitere Untersuchungen zur Anpassung des Modells für lastmomentunabhängige Vorhersagen bei weiterer geometrischer Variation sind notwendig. 
 

Förderhinweis

Wir bedanken uns für die finanzielle Unterstützung der FVA (Forschungsvereinigung Antriebstechnik, Deutschland) und der ZHAW (Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften) für das Projekt 951 I KuFuGeo.

Zu den Autoren:


Prof. Dr.-Ing., Robert Eberlein, Institutsleiter, IMES (Institut für mechanische Systeme), Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, Winterthur, Schweiz


M.Sc., Sven Düzel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, IMES, Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, Winterthur, Schweiz


Dr.-Ing., Hans-Jörg Dennig, Schwerpunktleitung Produktentwicklung, IPP (Institut of Product Development and Production Technologies), Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, Winterthur, Schweiz

Quellen

[1] Eberlein, Robert; Düzel, Sven: „Fatigue lifetime analysis of POM gears for generalized tooth root shapes”, 39th International Conference of the Polymer Processing Society (PPS-39), 2024 (Veröffentlichung in Bearbeitung)
[2] PolymerFEM LLC, PolyUMod Manual, Version: 7.0.5
[3] Bergström, Jorgen: „Mechanics of Solid Polymers”, William Andrew Publishing, 2015
[4] Düzel, Sven; Eberlein, Robert; Dennig, Hans-Jörg: „Fatigue life analysis of POM gears with transient material modelling”, 38th International Conference of the Polymer Processing Society (PPS-38), AIP Publishing, 2023,