„Die Zeit für Autonomie in Landmaschinen ist gekommen”

“Why Autonomy, Why Now?“ Unter dieser Überschrift wird Jahmy Hindman, Senior Vice President & Chief Technology Officer, Engineering & Technology, John Deere, im Rahmen des Internationalen VDI-Kongresses ELIV 2024 und der parallelen Tagung Electrics/Electronics for Mobile Machines sprechen. Im Vorfeld beantwortet er unsere Fragen.

 

Warum ist jetzt Ihrer Meinung nach jetzt der perfekte Zeitpunkt für autonome Landmaschinen gekommen?

In den letzten Jahren sind drei technologische Entwicklungen gereift, durch die Autonomie für Offroad-Anwendungen ermöglicht wird, wo dies zuvor nicht der Fall war. Diese drei Bereiche sind:

  1. Algorithmen wie Convolutional Neural Networks und in jüngerer Zeit Transformer Networks ermöglichen die Mustererkennung
      in komplexen Datensätzen, wie Daten von Stereokameras, Radar, Lidar usw., mit denen autonome Maschinen ihre Umgebung
      wahrnehmen.
  2. Diese Algorithmen sind rechenintensiv, insbesondere wenn sie mit den für den autonomen Maschinenbetrieb erforderlichen
      Auflösungen arbeiten. Der zweite Bereich betrifft die Weiterentwicklung des High-Performance-Computing, häufig durch
      Weiterentwicklungen der GPU-Hardware. Dadurch können die Algorithmen in Offroad-Maschinen mit ausreichender
      Leistung für die Anwendung "on the edge" ausgeführt werden.
  3. Der "Treibstoff" für die neuen Algorithmen sind Daten – und davon eine große Menge. Die Beschaffung dieser Daten war in der
      Vergangenheit mit erheblichem Aufwand verbunden, doch mit der Verbesserung der Konnektivität von Landmaschinen nimmt
      diese Belastung ab. Vernetzte Maschinen können die kontinuierliche Kommunikation wichtiger Daten unterstützen, die zur
      Verbesserung von Algorithmen erforderlich sind. Die Datenerfassung von einer nicht vernetzten Maschine war nicht in großem
      Ausmaß möglich. Da Maschinen nun über Mobilfunk oder Satellitenkonnektivität vernetzt sind, kann der Aufwand für die
      Datenerfassung nach Bedarf skaliert werden, um Modelle zu trainieren und die Performance zu verbessern.
     

Welche typischen Anwendungsbereiche werden Ihrer Meinung nach zuerst kommen?

Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, an der Schnittstelle zwischen technischer Machbarkeit und Wertschöpfung für den Kunden anzusetzen. In den Märkten, die John Deere bedient, weisen landwirtschaftliche Anwendungen gewisse Vorteile auf. Erstens nutzen Landwirte seit fast 20 Jahren GNSS für die Spurführung. Aus diesem Grund sind sie an einen hohen Grad an Automatisierung gewöhnt. Die Umgebung, in der Landmaschinen eingesetzt werden, ist über das Jahr hinweg relativ homogen. Die Arbeit, welche die Maschinen verrichten, folgt einem vorhersehbaren Muster. Diese Faktoren eignen sich für eine Applikation, um die technische Realisierbarkeit zu verbessern. Gleichzeitig ist die Arbeit in der Landwirtschaft von unregelmäßiger Natur. Während der Aussaat und Ernte besteht ein erheblicher Bedarf an Arbeitskräften. Dies führt zu einer Nachfrage seitens der Kunden, um diese zeitlich begrenzten, aber arbeitsintensiven Anforderungen zu bewältigen. Die Möglichkeit, durch Autonomie einen Mehrwert für diese Kunden zu schaffen, ist hoch.
 

Und was sind Ihrer Meinung nach die nächsten Meilensteine in der technologischen Entwicklung?

Um Autonomie im Offroad-Bereich zu erreichen, sind viele Meilensteine erforderlich. Einige, die mich besonders interessieren, sind verbesserte und neue Sensorsysteme, die auf die Betriebsumgebungen zugeschnitten sind. Die Radarentwicklung, welche die Zieltrennung in der Nähe der Quelle verbessert, und die Fähigkeit, Umgebungsfaktoren wie Regen, Erntegut, Boden usw. wahrzunehmen, eröffnet neue Einsatzbereiche. Ich denke auch, dass eine große Chance darin besteht, die Mustererkennung neuer Algorithmen auf einen „End-to-End“-Ansatz auszuweiten, im Gegensatz zu einem Ansatz, der nur auf „Sensorwahrnehmung“ basiert. Anders ausgedrückt haben wir die Möglichkeit, Modelle so zu trainieren, dass sie nicht nur die Betriebsumgebung der Maschine identifizieren, sondern diese Umgebungsinformationen auch nutzen, um Entscheidungen zur Maschinensteuerung (Bremsen, Lenken, Anbaugeräte usw.) zu treffen. Dies erhöht die Rechenanforderungen, aber die aktuelle Entwicklung der Bordrechner macht dies mit der Zeit besser handhabbar.
 

Wie schwierig ist es für John Deere als globales Unternehmen, weltweit unterschiedliche Vorschriften zu erfüllen? Würden Sie sich hier einheitlichere Standards wünschen?

Durch ähnliche Standards auf verschiedenen Märkten können Lösungen schneller und effizienter skaliert werden. In diesem Sinne ist eine Vereinheitlichung der Vorschriften zu begrüßen. Wenn die Vorschriften jedoch auf Lösungen abzielen, die die Systemkomplexität für viele Märkte unnötig erhöhen, schränken die Standards die Möglichkeiten der Kunden ein, Technologien zu nutzen, die teurer sind, als sie eigentlich sein müssten.
 

Inwiefern ist es einfacher, Autonomie im Gelände als auf der Straße zu implementieren – und mit welchen anderen oder zusätzlichen Herausforderungen sind Sie konfrontiert?

Die Implementierung von Autonomie im Gelände ist nicht immer einfacher als auf der Straße. Ein wichtiger Unterschied, der die Schwierigkeiten im Gelände erhöht, besteht darin, dass die Landmaschinen nicht nur die Aufgabe haben, von Punkt A nach Punkt B zu fahren. Vielmehr müssen sie unterwegs auch eine Arbeit verrichten. Diese Aufgabe kann eine landwirtschaftliche Tätigkeit wie Bodenbearbeitung, Pflanzen, Sprühen oder Ernten sein oder eine Bautätigkeit wie Graben, Planieren oder Pflastern. Abgesehen davon gibt es mehrere wesentliche Faktoren, die Autonomie im Gelände leichter umsetzbar machen als auf der Straße. Die langsameren Geschwindigkeiten im Gelände reduzieren die Entfernung, in der ein Wahrnehmungssystem um die Maschine herum funktionieren muss. Dadurch sinkt auch der Rechenbedarf des Systems, da mehr Zeit für Entscheidungen zur Maschinensteuerung zur Verfügung steht. Bei vielen Off-Highway-Anwendungen wird eine angehaltene Maschine als sicherer Zustand angesehen. Dies ist ein bedeutender Vorteil, da das Anhalten der Maschine zwar einen Verlust an Produktivität bedeutet, aber nicht unbedingt ein Sicherheitsproblem darstellt. Schließlich ist die Umgebung bei vielen Off-Highway-Anwendungen homogener mit weniger Objekten, die identifiziert und klassifiziert werden müssen.
 

Autonomie wird oft auch als Antwort auf personelle Engpässe gesehen. Können die neuen Technologien darüber hinaus auch einen positiven Einfluss auf die Nachhaltigkeit haben?

Das denke ich. Wir haben festgestellt, dass der von Maschinen erzeugte Wegplan in der Landwirtschaft oft effizienter ist als der, den ein Mensch selbst erstellt hätte. Dies führt zu weniger Überfahrten auf dem Feld, weniger Arbeitsüberschneidungen und einem geringeren Energieverbrauch.
 

Wie würden Sie die folgende Aussage vervollständigen: Wer jetzt nicht auf Autonomie umsteigt ...

... gibt uns die Möglichkeit, mit zukünftigen Lösungen so viel Mehrwert zu schaffen, dass er seine Meinung ändert!

Über den Interviewpartner:

Quelle: John Deere

Jahmy Hindman ist Senior Vice President & Chief Technology Officer, Engineering & Technology bei John Deere. Im Rahmen des internationalen VDI-Kongresses ELIV 2024 und der parallelen Tagung Electrics/Electronics for Mobile Machines referiert er zu dem Thema „Why Autonomy, Why Now?“.