PEM der RWTH Aachen

Abbildung 1: Entwicklung des Güterverkehrs auf deutschen Straßen in Jahren [1]

Die PEM-Brennstoffzelle eröffnet neue Perspektiven für den Güterverkehr

Ein funktionierender Güterverkehr ist aus unserer Gesellschaft nicht wegzudenken. Durch die Ziele zur Erreichung globaler und nationaler Klimaziele steht die Branche vor einem bedeutsamen Wandel. Ihre Hoffnungen setzen die Hersteller dabei auf die Brennstoffzelle.

Über 72 % Prozent des deutschen Güterverkehrs erfolgt über die Straße [1]. Alternativen, wie der schienengebundene Gütertransport, sind teurer, weniger flexibel und weniger zuverlässig, bestätigt der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V. (BGA) [2, 3, 4]. Für die ländlichen Bereiche kommt hinzu, dass lediglich die Straßeninfrastruktur flächendeckend ausgebaut ist [3, 5]. Bei kurzen Strecken, wie sie in dichtbesiedelten urbanen Gebieten üblich sind, überwiegen letzten Endes auch die ökonomischen Vorteile. Dies liegt vor allem an den höheren Umschlagskosten, da die sogenannte „letzte Meile“, also der Transport an das Versandziel, über die Straße erfolgt [6].

Die Prognosen des Umweltbundesamtes bestätigen, dass sich der Anteil der Lastkraftwagen am deutschen Güterverkehr auch in den kommenden Jahren nicht signifikant ändern wird [1]. Gleichzeitig floriert der Internet-Versandhandel, wodurch die absolute Anzahl an Gütertransporten auf deutschen Straßen sogar noch zunehmen wird [2]. Eine Senkung der Emissionen des Gütertransportsektors im Rahmen der globalen und nationalen Klimaschutzbestrebungen kann realistisch somit nicht durch eine Verdrängung des Straßengüterverkehrs erfolgen. Stattdessen müssen elektrifizierte Antriebslösungen entwickelt werden, mit denen die Güter lokal emissionsfrei zugestellt werden können. Gütertransporter mit energieintensiven Nebenverbrauchern, wie beispielsweise Kühltransporter mit Hebebühne, verbrauchen mehr Treibstoff als herkömmliche Transporter und verfügen somit auch über ein größeres Einsparpotenzial [7]. Dieser spezielle Anwendungsfall wird daher vermehrt adressiert.

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Abbildung 2: Relevanz von Kühltransportern in der Wissenschaft [9]

Kühltransporter rücken vermehrt in den Fokus der Wissenschaft

Studien zufolge müssen 40 % aller Lebensmittel im Zuge des Transportes gekühlt werden, wodurch die Relevanz elektrifizierter Kühltransporter deutlich wird [8]. Mit Blick auf die Entwicklung der Anzahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema der Kühltransporter, wird die Bedeutung dieser im Umfeld der Wissenschaft ersichtlich [9]. In den letzten Jahren wird in den Veröffentlichungen vermehrt der Fokus auf die Elektrifizierung und die Validierung unterschiedlicher Antriebsstrangkonzepte gelegt, die an Prototypen auch praktisch validiert werden. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Entwicklung auch in den kommenden Jahren nicht ändern wird, denn die technischen und ökonomischen Herausforderungen der Elektrifizierung sind weiterhin gegeben.

Electra Commercial Vehicles

Abbildung 3: Prototyp der Firma Electra Commercial Vehicles

Antriebsstränge mit energieintensiven Nebenverbrauchern müssen ein größtmögliches Einsatzspektrum abdecken

Anders als beim dieselbetriebenen Verteilerverkehr existiert für die elektrifizierten Antriebsstränge keine uniforme Lösung, da die Ausprägung der technischen und ökonomischen Eigenschaften je nach Anwendungsfall variiert. Die Auslegung der Antriebsstränge für mobile Anwendungen erfolgt basierend auf den individuellen Lastprofilen.  Für den Gütertransport bedeuten insbesondere elektrifizierte Fahrzeuge mit energieintensiven Nebenverbrauchern entwicklungsseitige Herausforderungen. Denn hier müssen neben dem eigentlichen Fahrprofil der Anwendung auch der elektrische Verbrauch der Nebenaggregate analysiert und mit dem Antriebsverbrauch gekoppelt werden. So können Lastspitzen entstehen, die bei der Auslegung des Antriebsstrang berücksichtigt werden müssen. Ein solche Lastspitze entsteht beispielsweise, wenn die Kühlmaschine nach einem Lieferstopp im Sommer den Kühlraum wieder auf Betriebstemperatur abkühlt, während das Fahrzeug eine Steigung hinauffährt.  [10, 11]

Für reinbatterieelektrische Antriebsstränge folgt daraus eine Maximierung der Batteriekapazität, die nach heutigem Stand der Technik auch zu einer signifikanten Erhöhung des Fahrzeuggesamtgewichts führt. Dadurch sinkt die realisierbare Nutzlast und gleichzeitig steigen die Treibstoffkosten, was für die Rentabilität von Logistikunternehmen kritische Erfolgsfaktoren sind. [10]

Durch die Integration einer Brennstoffzelle in den elektrischen Antriebsstrang, kann diese Herausforderung adressiert werden. Das optimale Wirkungsgradfenster für die Brennstoffzelle wird realisiert, wenn diese konstant unter Teillast betrieben wird. So kann eine elektrische Grundlast bereitgestellt werden, durch die die Leistung der Nebenverbraucher, aber auch Teile der Fahrzeugantriebsleistung abgedeckt werden können. Die zusätzlich erforderliche Leistung bei dynamischen Lastspitzen wird durch das Hochvoltbatteriesystem zur Verfügung gestellt. [11]

Die Nachrüstung von elektrifizierten Antriebssträngen gewinnt an Bedeutung

Da die Transformation des Verkehrs nicht nur mit Neufahrzeugen zu bewältigen ist, gewinnt die Umrüstung von Bestandsfahrzeugen vermehrt an Bedeutung [12]. Um wirtschaftliche und technische Aufwände gering zu halten, bieten sich modulare „Umrüstkits“ an, die mit minimalem Aufwand auf den individuellen Anwendungsfall und das damit einhergehende individuelle Lastprofil angepasst werden können. Hier sind herstellerübergreifende Konzepte von Vorteil.

Industrie und Forschung erarbeiten Lösungen

Die Entwicklung elektrifizierter, modularer Lösungen ist somit notwendig und steht im Fokus von Industrie und Forschung. So schloss das Unternehmen Electra Commercial Vehicles im Januar 2023 eine dreimonatige Testphase ab, in der die Supermarktkette Sainsbury‘s mit einem brennstoffzellenbetriebenen 19-Tonnen-LKW ausgestattet wurde. Der Prototyp fuhr täglich knapp 335 km und sparte so circa 314 kg CO2 pro Tag ein. Mit einer Reichweite von 515 km konnte diese Fahrt ohne zwischenzeitliches Auftanken durchgeführt werden. Ausgestattet wurde das Fahrzeug mit einer 44 kW Brennstoffzelle der Firma Proton Motor, 225 kWh Batteriepacks sowie vier Drucktanks, in denen 20 kg Wasserstoff bei 350 bar gespeichert werden. [13]

Forschungsseitig erfolgt die Problemlösung im Rahmen des Projektes H2Kit. Ziel des Konsortiums, bestehend aus der Orten Fahrzeugbau GmbH, der Alternative Energy Driven Solutions GmbH sowie dem PEM der RWTH Aachen, ist die Entwicklung eines modularen, brennstoffzellenbasierten Umrüstkits. Die Validierung des entwickelten Antriebsstrangs soll im Jahre 2024 in einem Prototyp erfolgen. [14]

I Literaturverzeichnis

[1] Kluth, T.; Ratzenberger, R.; Knebel, P.; (Güter- und Personenverkehr):
Gleitende Mittelfristprognose für den Güter- und Personenverkehr. Oktober 2022

[2] Späne, K.; (Güterverkehr):
Güterverkehr: Bahn hat gegenüber Straße oft das Nachsehen. In: Frankfurter Neue Presse. 29.10.2018

[3] Rieß, W.; (Die Zukunft der Logistik):
Die Zukunft der Logistik. Güterverkehr auf der Schiene? In: Zoll.Export. Februar 2022

[4] Benzing, T.; (Anforderungen der chemischen Industrie):
VCI-Position. Anforderungen der chemischen Industrie an Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit im Schienengüterverkehr. 29.06.2022

[5] Balz, J.; Heinrich, A.; Helm, J.; Klünder, B.; Lehmann, S.; Leininger, F.; Petzold, S.; Reincke, J.; Rieger, D.; Russmann, J.; Schneider, J.; Wicha, M.; v. Wysiecky, N.; (Zukunftsfähige Mobilität):
Zukunftsfähige Mobilität in ländlichen Räumen. September 2022

[6] Eurosender (Internationaler Schienengüterverkehr):
Internationaler Schienengüterverkehr. 2023

[7] Garde, R.; Jiménez, F.; Larriba, T.; García, G.; Aguado, M.; Martínez, M.; (Fuel cell‑based system for refrigerated transport):
Development of a fuel cell-based system for refrigerated transport. 2012

[8] Adekomaya, O.; Jamiru, T.; Sadiku, R.; Huan, Z.; (Fresh food in cold chain):
Sustaining the shelf life of fresh food in cold chain – A burden on the environment. 12.04.2017

[9] PEM-interne Studie:
Interne Studie basierend auf den Veröffentlichungen des Elsevier Verlags. 03.05.2023

[10] Walker, T.; (Zukunft des Schwerlastverkehrs):
Warum die Zukunft des Schwerlastverkehrs im Fernverkehr wahrscheinlich aus viel Wasserstoff besteht. 14.03.2023

[11] Marx, N.; Hissel, D.; Harel, F.; Pahon, E.; Courteille, B.; Chaillou, F.; (Design of a Hybrid Fuel Cell):
On The Design of a Hybrid Fuel Cell – Battery Genset for a Refrigerated Semi-Trailer Truck. 2018

[12] Internationales Verkehrswesen; (Umrüstung von Nutzfahrzeugen):
Umrüstung von Nutzfahrzeugen auf emissionsfreie Antriebe im Trend. 10.03.2022

[13] FuelCellsWorks; (Refrigerated 19-Tonne Hydrogen Truck):
Electra’s Refrigerated 19-Tonne Hydrogen Truck Completes Successful Zero Emissions Trial With Major UK Supermarket Sainsbury’s. 16.01.2023

[14] Werwitzke, C.; (BZ-Range-Extender):
Projektteam testet BZ-Range-Extender als Umrüstlösung. In: electrive.net. 02.03.2023

Unsere Veranstaltungsempfehlungen

Autoren

Prof. Dr.-Ing. Achim Kampker ist der Lehrstuhlinhaber des PEM der RWTH Aachen. Zusammen mit seinem Team widmet er sich der Produktion, Entwicklung und des Recyclings von Batteriesystemen, Brennstoffzellensystemen sowie der Produktion des elektrischen Antriebsstrangs.

Philipp Euchner, M.Sc. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am PEM der RWTH Aachen und Teil der Gruppe „Fuel Cell“.

Prof. Dr.-Ing. Heiner Hans Heimes ist Mitglied der Institutsleitung des PEM der RWTH Aachen. Zusammen mit Herrn Professor Kampker ist er für die strategische und operative Führung des Lehrstuhls zuständig.

Mario Kehrer, M.Sc. ist Oberingenieur am PEM der RWTH Aachen. Er ist verantwortlich für die Bereiche „Fuel Cell Technology & Electrification Engineering“.

Sebastian Hagedorn, M.Sc. ist Leiter der Gruppe „Fuel Cell“ am PEM der RWTH Aachen.