09.08.2021
Die E-Achse kommt
Vielversprechende Technologieansätze für unterschiedlichste Nutzfahrzeug-Anwendungen
Warum nicht im Zuge der Elektrifizierung den Antrieb direkt ans Rad bringen? Über Chancen und Möglichkeiten von sogenannten E-Achsen wird in der Nutzfahrzeugwelt schon seit geraumer Zeit diskutiert. Mit den ersten Anwendungen werden jetzt bereits Erfahrungen in der Serie gesammelt. Einblicke in die Technologie und Ausblicke auf die Perspektiven eines Einsatzes von E-Achsen auch in Großserien zeigt die Internationale VDI-Tagung „Antriebsstranglösungen für Nutzfahrzeuge“ am 13. und 14. Oktober 2021 in Bonn.
Schon heute befinden sich vereinzelt Serienanwendungen von E-Achsen, insbesondere im Stadtbusbetrieb, auf den Straßen. Bei den meisten Nutzfahrzeugherstellern wurde die erste Generation von E-Antrieben noch mit Zentralantrieben dargestellt. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Möglichkeit, bestehende Antriebskomponenten wie konventionellen Achsen zu übernehmen und im Sinne von time-to-market zu einer schnelleren Umsetzung zu gelangen.
Mittelfristig auf dem Weg zur Standardkomponente
Mit ihren konzeptbedingten Vorteilen weisen E-Achsen das Potenzial auf, mittelfristig als Standardkomponente eingesetzt zu werden, ist Dipl.-Ing. Thomas Landsherr überzeugt: Insbesondere Effizienzvorteile, eine flexiblere Nutzung des Package sowie reduzierte Materialkosten machen E-Achsen perspektivisch interessant“, so der Leiter der VDI-Tagung und Vice President, Engineering Powertrain Transmission and Driveability Development (EPD) bei MAN Truck & Bus SE (München). Allerdings: „Wir sehen jedoch noch einen erheblichen Entwicklungsaufwand bis zum flächendeckenden Einsatz von E-Achsen, auch bei der Chassis-Integration.“
Ein wesentlicher Punkt, der bei der Fahrzeugkonstruktion und Entwicklung neue Anforderungen mit sich bringt: Konzeptbedingt sind E-Achsen deutlich schwerer als Achsen für Dieselantriebe, Marktkenner gehen von etwa 300 Kilogramm Mehrgewicht aus. Diese Zunahme an ungefederten Massen stellt laut Thomas Landsherr eine technische Herausforderung dar, ebenso die Beschleunigungen, die auf den E-Motor und den Inverter bei E-Achsen einwirken: „Wir halten das aber für technisch lösbar.“
Viel Potenzial für unterschiedlichste Anwendungen
Die Leistungsdichte der E-Motoren ist schon heute für die Anwendung in allen elektrischen Triebsträngen für die Nutzung bis zum schweren Truck ausreichend – bis hin zu Long Distance. Zusätzliche Optimierungen in der Zukunft sind selbstverständlich jederzeit willkommen! Dabei ist Thomas Landsherr überzeugt: „Aufgrund diverser Vorteile haben E-Achse das Potenzial, sich mittelfristig in allen Anwendungen durchzusetzen.“
Neue Anforderungen an Getriebe und Bremsen
Im Zuge dieses Technologietrends dürfte sich auch die Getriebetechnologie grundlegend wandeln, so der Nutzfahrzeugexperte weiter: „Dabei gehen wir von deutlich kompakteren Getrieben einsatzabhängig mit zwei bis vier Gängen aus.“ Mit der elektrischen Antriebstechnologie und den vergleichsweise hohen Drehzahlen von E-Motoren im Vergleich zum Diesel entstehen neue Herausforderungen bei der Entwicklung von Getrieben, insbesondere bei der Akustik und der Ölversorgung. Auch bezüglich der Bremssysteme kommen neue Herausforderungen auf die Fahrzeughersteller zu, vor allem bei den Dauerbremsen. „Da Motorbremse oder Retarder so nicht mehr zur Verfügung stehen, ist eine clevere Strategie beim Bremsen mit Rekuperation und effektiver Batterieladung nötig“, führt Thomas Landsherr dazu aus.
E-Achsen auch für den Trailer?
Der Schlüssel zur Effizienzsteigerung liegt dabei nicht ausschließlich in den Komponenten. Das Zusammenspiel und die Wirkung im Fahrzeug zwischen den elektrischen Komponenten zu Fahrfunktionen, EE-Architektur, Kühlung und Batterieladung hat einen wesentlichen Einfluss auf die Effizienz im Fahrzeug. Damit könnten E-Achsen in Zukunft nicht nur in der ziehenden Einheit, sondern auch im Trailer zum Einsatz kommen. Thomas Landsherr erklärt dazu: „Je höher die Laufleistung der Trailer ist und je besser die Abstimmung zwischen Trailer und Truck ist, desto mehr lohnt sich auch für den Kunden eine Investition in diesen Antrieb.“ Voraussetzung hierfür sei eine Batterie im Trailer. Allerdings stelle sich die Frage nach der Notwendigkeit eines elektrischen Antriebs im Trailer: „Solange die Antriebsleistung des Zugfahrzeugs ausreicht, bedarf es keiner weiteren angetriebenen Achse im Trailer.“
Veränderungen sieht der Leiter der VDI-Tagung „Antriebsstranglösungen für Nutzfahrzeuge“ auch auf das Verhältnis und die Schnittstellen zwischen OEMs und Zulieferern zukommen: „Zum einen, weil konventionelle Antriebskomponenten wie Verbrennungsmotor, Kupplung und Getriebe an Bedeutung verlieren werden. Zum anderen werden die meisten Hersteller auch bei der Produktion von E-Achsen für Komponenten wie E-Motor und Inverter auf Systempartner setzen.“