Die drei größten Stolpersteine, die zu Aufschieberitis führen – und was Mitarbeitende und
Unternehmen dagegen tun können
1. Glaubenssätze
Wir alle haben im Laufe unseres Lebens Glaubenssätze verinnerlicht, die das Resultat unserer Erfahrungen und Beobachtungen sind und unsere Annahmen von uns selbst und der Welt prägen. Das kann man sich in etwa so vorstellen, wie eine Brille, die es für jeden Menschen individuell nur einmal gibt und durch die jede/r auf eine ganz subjektive Weise in die Welt blickt.
In Bezug auf das Thema „Aufschieberitis“ sind hier insbesondere der Perfektionismus und das Harmoniebedürfnis relevant. Dahinter verbergen sich Glaubenssätze wie: „Ich muss perfekt sein“, „Ich darf keine Fehler machen“ oder „Ich darf nicht nein sagen“, „Ich muss mich anpassen/ unterordnen“. Diese Glaubenssätze führen dann oft dazu, dass man alles ganz penibel ausführt und sich in Details verzettelt, um nur keine Fehler zu machen – damit würde man sich, so die eigene Befürchtung, angreifbar machen und man wäre der Kritik anderer ausgesetzt. Auch tun sich Menschen mit diesen Glaubenssätzen oft schwer, Bitten oder Aufträge von Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzten abzulehnen, weil sie befürchten, dann weniger gemocht oder im schlimmsten Fall sogar gekündigt zu werden. Das führt dazu, dass eigene Aufgaben liegen bleiben oder besonders wichtige Dinge zu kurz kommen, weil die Zeit fehlt. Oft spielen hier Ängste eine Rolle, ausgegrenzt zu werden, nicht zu genügen und letztlich einsam zu sein. Ein Extrem wäre jemand, der eine Ausbildung oder ein Studium nicht abschließt, obwohl er erfolgreich ist und alle Voraussetzungen erfüllt – aus Angst, der eigenen Herkunftsfamilie unähnlich zu werden und nicht mehr dazuzugehören.
Solche Glaubenssätze lassen sich verändern, wenn sie entdeckt werden. Dann haben Betroffene die Möglichkeit, sich selbst zu beobachten und ein immer besseres Gespür dafür zu bekommen, wann sie „durch welche Brille schauen“. Glaubenssätze lassen sich zunächst logisch hinterfragen und auf den Prüfstand stellen, wie real die Sorgen diesbezüglich wirklich sind. Der nächste Schritt ist, sich nicht länger mit dem Glaubenssatz zu identifizieren und sich einzugestehen, dass man nie ganz perfekt ist oder nie alle Menschen zufriedenstellen wird. Schließlich geht es darum, neue Erfahrungen zu machen und die alten durch neue Glaubenssätze zu ersetzen. So können sich Betroffene zum Beispiel sagen: „Ich gebe mein Bestes, dabei passieren aber auch einmal Fehler“ oder: „Ich darf es auch mir recht machen.“ So können sie dann Schritt für Schritt neues Handeln ausprobieren und geändertes Verhalten üben.
2. Zu hoher Workload und damit verbundener Stress
Ein großes Problem unserer Zeit sind die enorme Schnelllebigkeit, Komplexität, Unsicherheit und Unberechenbarkeit und damit verbundene Faktoren wie Wettbewerbsdruck und Arbeitsverdichtung. So haben viele Menschen schlicht einen zu hohen Workload und kommen mit der Erledigung ihrer Aufgaben nicht mehr hinterher. Zudem erschwert eine ständige Fragmentierung von Arbeitsprozessen – z.B. durch wirklich oder vermeintlich wichtige und dringende ungeplante Termine, Anfragen oder Änderungen – den Workflow, der es zulässt, das eigene Pensum zu schaffen oder sich einmal in Ruhe wichtigen Aufgaben zu widmen. Das führt zu Stress und häufig auch Konflikten mit Kolleginnen und Kollegen, was sich wiederum negativ auf das eigene Arbeitsverhalten auswirkt. So werden wichtige Aufgaben aufgeschoben, weil so viel Unvorhergesehenes, aber „Dringendes“ dazwischenkommt. Nicht wenige Menschen kapitulieren vor der zu hohen Arbeitsbelastung gänzlich und werden krank.
Hier hilft es, sich darauf zu konzentrieren, was – insbesondere für den eigenen Arbeitsbereich oder für direkt von der eigenen Arbeit betroffene andere Personen – wirklich wichtig und dringend ist und diese Tätigkeiten dann im Fokus zu behalten. Zudem können viele Menschen mutiger darin werden, ineffektive Tätigkeiten zu reduzieren oder flüchtiger zu erledigen bzw. hier auch von Mitarbeitenden und Führungspersonen mehr Transparenz, Organisation und Struktur einzufordern. Ein weit verbreitetes Beispiel sind hier schlecht vorbereitete und durchgeführte und somit ergebnisarme, aber Zeit fressende Meetings und Besprechungen, die besser geplant, besetzt, moderiert und oft stark gekürzt werden könnten. Auch sollte jeder Arbeitnehmende auf ein angemessenes Maß an Ausgleich und Erholung zur Arbeit achten.
3. Das Zusammenwirken struktureller, organisatorischer und individueller Schwächen
Ein weiterer Grund für Aufschieberitis kann sein, wenn es Mitarbeitenden in Organisationen an Identifikation mit der Aufgabe oder der Tätigkeit fehlt. Ursächlich hierfür können Über- oder Unterforderung sein oder auch die fehlende Transparenz darüber, was der eigene Beitrag zum Gesamterfolg des Unternehmens ist. Dies kann sich negativ auf die Motivation auswirken und die Frage aufwerfen, ob das eigene Tun noch als sinnhaft erlebt wird. Infolgedessen haben Betroffene oft Schwierigkeiten, Prozesse zu beginnen oder entziehen sich wichtigen Aufgaben ganz.
Eng damit verbunden ist auch die Angst Fehler zu machen in Zusammenhang mit der Erfahrung, dass diese streng geahndet und sanktioniert oder Arbeitsprozesse zu engmaschig kontrolliert werden. Das hemmt Menschen darin, Verantwortung für ihre Aufgaben zu übernehmen und selbstständig Tätigkeiten auszuführen. Sie sichern sich dann selbst für Routinetätigkeiten sehr stark ab und machen im schlimmsten Fall nur noch „Dienst nach Vorschrift“. Das bindet Energien von Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten, die wiederum ihre Aufgaben aufschieben und hintenanstellen müssen, um engmaschig Rückmeldung, Absicherung und Kontrolle zu übernehmen. Diesen Kreislauf kann man nur durch ein gutes und authentisch gelebtes Fehlermanagement sowie durch Vertrauen und Förderung von Mitarbeitenden durchbrechen. Hier müssen Führungspersonen selbst mit gutem Beispiel voran gehen, Aufgaben abgeben, Aufgaben-Verantwortliche benennen und in die Pflicht nehmen sowie Mitarbeitende in angemessener Weise fordern und fördern.