Die Anwendung der Finite-Elemente-Methode (FEM) in der rechnerischen Bewertung von Explosionslasten für Industrieanlagen

Die Finite-Elemente-Methode (FEM) hat sich als äußerst wertvolles Instrument für die rechnerische Bewertung von Strukturen in verschiedenen technischen Anwendungen etabliert, so auch bei Industrieanlagen. Neben den Normalbetriebslastfällen aus Eigengewicht Druck, Temperatur und Produktmassen, werden standortspezifische Einwirkungen wie Wind, Schnee und Erdbeben in der rechnerischen Auslegung routinemäßig berücksichtigt.

Ein relativ neuer und immer häufiger werdender Aspekt in der Anlagensicherheit ist die Berücksichtigung von Explosionslasten, was im Zusammenhang mit reaktionsfähigen Luft-, Staub- oder Gasgemischen oder auch beim gezielten Bersten von Druckbehältern in Berstkammern auftreten kann.

In diesem Artikel liegt der Fokus auf dem Einsatz der FEM zur Untersuchung von Explosionslasten auf Strukturen von Industrieanlagen. Beispiele sind: Staubexplosionen in Filteranlagen, das Explodieren eines Wasserstofftanks in einer Industrieanlage, Wasserstoffexplosion in einem Elektrolyseur, das Bersten eines Druckbehälters in einer Berstkammer oder das Ablösen eines unter Druck stehenden Ventils unter Wasser.

Abbildung 1: Filtergehäuse unter Explosionslast, dargestellt sind Gesamtdehnungen

Numerische Simulation von Explosionen und Wirkungen auf die Struktur

Grundsätzlich ist ein Nachweis der Standsicherheit oder Festigkeit einer Struktur experimentell oder rechnerisch möglich. Im experimentellen Fall gibt es ein direktes Ergebnis – bestanden oder nicht bestanden. Der Nachteil dieser Vorgehensweise liegt klar auf der Hand. Ein Apparat oder Teilstruktur muss erst gebaut werden, um diesen dann wieder zu zerstören – wirtschaftlich und zeitlich enorm aufwändig, insbesondere wenn der Test bei Nichtbestehen mehrfach durchgeführt werden muss.

Beim rechnerischen Vorgehen unter Einsatz einer FE-Analyse kann alles virtuell umgesetzt werden. Selbst wenn die Struktur den Belastungen nicht standhält, können Optimierungen zielgenau virtuell durchgeführt werden. Sogar Möglichkeiten der Materialeinsparung lassen sich erörtern und umsetzen.

Bedenken gibt es oftmals bei der Genauigkeit des Berechnungsergebnisses, diese sollen im besten Fall den Versuch sicher ersetzen können. Die Abbildung der Struktur als FE-Modell ist immer mit Modellannahmen verbunden. Insofern gibt es inhärente Unterschiede zwischen Realität und FE-Modell und damit auch bei den Berechnungsergebnissen. Um die FE-Analyse auch bei diesen sicherheitsrelevanten Strukturen einzusetzen, sind jahrelange Erfahrungen der Berechnungsingenieur*innen notwendig. Unterstützung wird den Berechnungsingenieur*innen durch Normen und Richtlinien gegeben.

Eine Explosion kann in der Simulation auf unterschiedliche Art und Weise abgebildet werden, über eine transiente hochdynamische Simulation oder über eine quasistatisch vereinfachte Simulation. Beides hat Vor- und Nachteile.

 

Quasistatische Simulation von Explosionen

Diese Form der Simulation ist sehr einfach mit einem FE-Modell umzusetzen und wird überwiegend bei Explosionen von Luft/Staub-Gemischen oder Gasgemischen in Filteranlagen, Sichtern, Kanälen oder auch Elektrolyseuren angewendet. Diese reaktionsfähigen Gemische befinden sich innerhalb des Apparates oder der Struktur. Es wird ein Explosionsdruck bzw. im Fall von Druckentlastungen ein reduzierter Explosionsdruck bestimmt. Dieser wird als statischer Druck auf die Druckhülle aufgegeben. Der Explosionsdruck kann mithilfe von Normen, z.B. [DIN EN 14034], [DIN EN 15967], bestimmt werden. Auch bieten die Lieferanten von Druckentlastungsystemen Unterstützung an. Zu beachten sind zusätzlich die Effekte aus Rückstoßkräften und Druckausgleichskräften an Öffnungen des FE-Modells. Auch hierfür gibt es Modellannahmen, z.B. [Steen2000].

Für die Bewertung der FE-Analyse bietet sich die Vorgehensweise der [DIN EN 14460] an. Hier sind auch Angaben zur FE-Modellierung enthalten. Um wirklich die Grenzen der Konstruktion auszunutzen, können die plastischen Tragreserven nach dem Vorgehen der [DIN EN 13445] Teil 3 Anhang B genauer erfasst werden.

Die Vorgehensweise der quasistatischen Berechnung ist sehr einfach umzusetzen und ist in der Regel konservativ. Der Nachteil besteht darin, dass der Ausgangspunkt der Explosion nicht definiert werden kann. Somit sind lokale Explosionen wie z.B. das Bersten von Druckbehältern oder die Explosion einer Batterie nicht abbildbar. Auch kann die Propagation einer Explosionswelle von einer Kammer in die anschließenden Kanäle nicht abgebildet werden.

Abbildung 2: Bersten eines Druckbehälters in einer Berstkammer

Hochdynamische transiente Berechnung von Strukturen

Eine sehr realitätsnahe Abbildung einer Explosion kann mit einer transient hochdynamischen Simulation erreicht werden. Dabei kann jede Art der Explosion und auch die jede Position des Explosionszentrum in Relation zur betrachteten Struktur berücksichtigt werden.

Für die Umsetzung sind verschiedene Ansätze möglich. Hier werden drei Ansätze näher beschrieben.

Ansatz 1: Wenn Behälter unter Druck zum Bersten gebracht werden sollen, so eignet sich das CEL (coupled eulerian lagrangian)-Verfahren sehr gut. Dabei kann die Struktur und das Fluid abgebildet werden. Genauere Details zu diesem Ansatz werden in [Brehm2018] gegeben. Die Simulation selbst ist eine explizite transiente Simulation innerhalb der FE-Software. Die Verformungen, Spannungen und plastischen Dehnungen können direkt der FE-Analyse zur Bewertung entnommen werden.

Abbildung 3: Explosion in einer Prüfkammer

Ansatz 2: Nach dem Verfahren von Kingery und Bulmash [Kingery1984], können die transienten Parameter einer Schockwelle, welche auf ein Hindernis stößt, analytisch bestimmt werden. Dies sind zum Beispiel, Explosionsdruck, Explosionsimpuls und Zeit der Ankunft der Welle. Dabei wird das explosive Material auf ein TNT-Äquivalent umgerechnet. Diese Angaben können z.B. innerhalb der Software Abaqus in spezialisierten FEM-Berechnungsroutinen direkt verarbeitet und die Verformungen, Spannungen und plastischen Dehnungen infolge der Explosion auf eine beliebige Struktur berechnet werden. Die Bewertung erfolgt oftmals nicht nach Norm, sondern nach plastischen Dehnungen oder Gesamtverformungen, um hier so gut wie möglich den Versuch abbilden zu können.

Ansatz 3: Sehr realitätsnah lassen sich Explosionen infolge chemischer Reaktionen (z.B. Explosion von Wasserstoff mit Sauerstoff) durch eine CFD (computational fluid dynamics) -Simulation abbilden, bei der auch die Verbrennung selbst simuliert werden kann. Dadurch wird die Druckwelle gut simulativ erfasst und die thermische Komponente kann mitberücksichtigt werden. In der CFD-Analyse ist die Struktur selbst ein unverformbarer Körper. Insofern sind die resultierenden Drücke, welche auf die Struktur wirken, eher konservativ zu groß. Zur Bewertung der Standsicherheit, werden die transient veränderlichen Drücke direkt auf die Struktur innerhalb einer FE-Simulation übertragen. Dort werden in einer transienten Analyse die Verformungen, Spannungen und auch plastischen Dehnungen berechnet und können je nach Anforderungen nach Norm oder als Vergleich zu einem Versuch bewertet werden.

Es ist ersichtlich, dass für den transienten hochdynamischen Ansatz zur Bewertung der Explosionslasten auf eine Struktur sehr viel mehr Erfahrung seitens des Berechnungsingenieurs benötigt wird. Es muss zu jeder Aufgabenstellung die richtige Methodik definiert und dann auch umgesetzt werden. Der Vorteil ist, dass die Explosion deutlich realistischer definiert und damit auch Strukturen wirtschaftlicher ausgelegt werden können.

 

Schlussfolgerung

Die Finite-Elemente-Methode erweist sich als äußerst nützliches Werkzeug für die Simulation von Explosionen in Verbindung mit der Bewertung der Standsicherheit und Festigkeit von Industrieanlagen. Durch die genaue Analyse der Wechselwirkungen zwischen Explosionskräften und Strukturen können Ingenieur*innen und Forscher*innen fundierte Entscheidungen treffen, um die Integrität von Gebäuden, Industrieanlagen und Infrastrukturen zu gewährleisten.

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Referenzen

[Brehm2018]        Brehm, M., Burckardt, S., Merkle, S.: Numerische Simulation des Berstens von Druckbehältern zur Auslegung von Prüfkammern. In Proceedings: NAFEMS DACH Conference, Bamberg, 14-16. Mai 2018.

[DIN EN 15967]   DIN EN 15967 Verfahren zur Bestimmung des maximalen Explosionsdruckes und des maximalen zeitlichen Druckanstieges für Gase und Dämpfe, 2022

[DIN EN 14034]   DIN EN 14034 Bestimmung der Explosionskenngrößen von Staub/Luft-Gemischen, 2011

[DIN EN 14460]   DIN EN 14460 Explosionsfeste Geräte; Deutsche Fassung EN 14460:2018

[Kingery1984]      Kingery, C. N., Bulmash, G.: Technical report ARBL-TR-02555, dated April 1984.

[Steen2000]            Steen, H.: Handbuch des Explosionsschutzes, 1. Auflage, Wiley-VCH, Weinheim, April 2000, ISBN: 978-3-527-29848-8

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Zum Autor

Dr.-Ing. Maik Brehm ist seit 2014 bei der Merkle CAE Solutions GmbH in Heidenheim als Bereichsleiter für Strukturmechanik tätig. In dieser Rolle verantwortet er mit seinem Team jährlich mehr als 300 FE-Simulationsprojekte aus diversen Branchen, u.a. Anlagen- und Maschinenbau und Automotive. Vor dieser Tätigkeit war er in diversen internationalen Forschungsprojekten tätig und forschte als Postdoc an der Université Libre de Bruxelles. Insgesamt beschäftigte er sich seit mehr als 20 Jahren mit der Finiten-Elemente-Methode in der Lehre, der Forschung und der Praxis und hat noch immer Spaß an diesem fazinierenden