02.09.2016
Wozu brauchen wir noch Projektmanager?
Projektmanagement hat sich in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich weiterentwickelt. Es gibt zahlreiche Prozessmodelle und Methoden, beschrieben in Standardwerken wie z. B. dem PMBOK oder dem „Kompetenzbasiertes Projektmanagement“. Es gibt Best Practices und zahlrieche, nach diesen Standards erfolgreich durchgeführte Projekte (Gotthart-Basistunnel, Olympiade London 2012, und die unzähligen Maschinen, Anlagen und Systeme, die termingerecht an den Kunden übergeben werden, aber deren News-Faktor nicht mit dem Flughafen Berlin konkurrieren können). Braucht es da noch diese provokant formulierte Frage nach der Daseinsberechtigung des Projektmanagers?
Seit gut 15 Jahren gibt es nachweisliche Erfolge gerade in der Software-Entwicklung mit den sogenannten agilen Methoden, allen voran Scrum. Die Ideen der agilen Methoden werden zunehmend auch in technischen Entwicklungsprojekten (z. B. Entwicklung mechatronischer Produkte), oder in Organisations- und Veränderungsprojekten übertragen und adaptiert. Auch hier mit Erfolg. In den Beschreibungen agiler Methoden und Vorgehensmodelle taucht aber häufig die Rolle des Projektmanagers gar nicht auf. Heißt das, agile Projekte brauchen kein Projektmanagement? Und heißt das weiter, je mehr agile Projekte durchgeführt werden, desto weniger Projektmanager werden gebraucht?
Um die Antwort vorwegzunehmen: Nein, das heißt es nicht. Aber die Rolle des Projektmanagers verändert sich.
Der Projektmanager ist verantwortlich für die Einhaltung von Inhalten, Terminen und Kosten entsprechend des Projektauftrags. Dazu bedient er sich Planungs- und Steuerungsinstrumenten des Projektmanagements. Zusammen mit dem Projektteam definiert er dazu die Projektziele, erstellt Projektstrukturpläne, Terminpläne, Kostenkalkulationen, Risikoanalysen und Maßnahmenlisten oder was auch sonst für das jeweilige Projekt angemessen und nützlich ist.
Braucht man dieses Handwerkszeug der Planung und Steuerung nicht mehr, wenn agile Methoden eingesetzt werden? Es ist eines der großen Missverständnisse über agiles Vorgehen, dass dort nicht geplant und nicht gesteuert wird. Das Gegenteil ist meist richtig: Agile Projekte werden häufig detaillierter geplant und gesteuert als klassische Projekte. Nur der Zeithorizont unterscheidet sich. Und die Rollen und Verantwortung ändern sich. Das Gesamtprojekt wird nicht detailliert ausgeplant, aber es wird ein Rahmen gesetzt. Dafür findet die Planung und Steuerung immer nur für überschaubare Abschnitt statt. (Hier wäre eigentlich ein tieferer Einstieg in die agilen Methoden notwendig, der aber verständlicherweise den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde.) Bei der heutigen Komplexität von Projektinhalten mit einer Vielzahl sich gegenseitig beeinflussender Größen und Schnittstellen ist eine detaillierte Planung häufig nicht zielführend. Schön ablesen lässt sich dies an der Zahl von Change Requests in einem Projekt, die in größeren Projekten schnell dreistellig wird. Mit allen Konsequenzen für den administrativen Aufwand im PM. Aber zurück zum Thema.
In agilen Projekten werden also nur überschaubare Zeitabschnitte genau durchgeplant (Scrum-Jargon: Sprint Planning). Die Arbeiten und der Fortschritt in diesen Abschnitten werden auch akribisch verfolgt (Stichwort „Burn Down Chart“). Und nach diesem Zeitabschnitt (im Scrum-Jargon: Sprint) wird sogar eine Art Lessons Learned durchgeführt (Scrum-Jargon: Sprint Review). Also alles bekannt: Planung, Steuerung, Erfolgskontrolle. Sicher, die Methoden sind andere, aber sonst? Also ist die Ehre (bzw. die Notwendigkeit) des Projektmanagers gerettet?
Nein. Und ja!
Nein, weil der Projektmanager nicht mehr verantwortlich ist für die Planung und Steuerung. Hier tritt das Entwicklungsteam in eine ganz neue Verantwortung, denn diese Aufgaben wandern in das Team. Selbstmanagement und Eigenverantwortung.
Und ja – weil der Projektmanager nach wie vor gebraucht wird. In einer anderen Rolle allerdings. Im Scrum-Vorgehensmodell gibt es die Rolle des Scrum Masters. Der Scrum Master hat die Aufgabe, das Team zu moderieren, es vor äußeren Störungen zu schützen, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und auf die Einhaltung der Scrum-Regeln zu achten. Auch wenn die Rolle des Projektmanagers nicht ohne weiteres mit der Rolle des Scrum Masters vergleichbar ist, lassen sich aus der Aufgabenstellung des Scrum Masters die wesentlichen Kernpunkte der Führungsarbeit eines Projektmanagers in einem dynamischen Umfeld erkennen: Er ist Dienstleister des Teams, der Moderator und Unterstützer. Er sorgt dafür, dass das Team die Ziele kennt, dass Regeln klar sind und dass das Team ungestört arbeiten kann. Anders ausgedrückt (und in verschiedenen Publikationen so benannt): weg vom „command & control“ hin zur Führung auf Augenhöhe. Die Rolle des Projektmanagers gibt Kompetenzen ab, benötigt aber auch zahlreiche neue.
Das hat Konsequenzen für Projektmanager. Das beginnt beim Handwerkszeug, also einem Grundverständnis neuer, agiler Methoden im Projektmanagement (gerade auch außerhalb der Software-Entwicklung). Es betrifft in großem Ausmaß die Führung und Teamarbeit, die viel stärker auf Vertrauen, auf echter Übertragung und Wahrnehmung von Verantwortung, auf offenem Feedback und einer echten Fehlerkultur basieren. (Jeder dieser eben genannten Aspekte wäre einen eigenen Beitrag wert! Und seien wir ehrlich: In der freien Wildbahn, also in den Unternehmen heute sind diese Prinzipien eher selten, auch wenn die Hochglanzbroschüren etwas Anderes vermelden.)
Komplexität, Schnelligkeit und Unsicherheit bringen heute schon viele Projekte an den Rand der Durchführbarkeit. Der Umgang mit diesen Faktoren erfordert eine neue Herangehensweise an Projekte – und einen Projektmanager, der gemeinsam mit seinem Team die richtigen Werkzeuge einzusetzen weiß.