20.01.2022

Challenge: Zielvereinbarungen für Vertriebsmitarbeiter

Der Jahreswechsel ist oft der Zeitraum für den Kick-Off und Zielgespräche mit den Vertriebsmitarbeitern. Ganz klar, sinnvolle Vertriebsziele geben eine Struktur und Richtung. Sie motivieren alles zu geben, und sind gut für die Arbeitsmotivation. Die Kontrolle der Vertriebsziele macht die erfolgreiche Arbeit sichtbar und ermöglicht Wertschätzung. Kontrolle eröffnet die Chance, bei Zielen nachzusteuern, bevor die Firma in Schieflage gerät.

Bedauerlicherweise sind Zielvereinbarungen oftmals viel zu vage oder unrealistisch formuliert, um dienlich zu sein. Oder sie sind zu eng gefasst, reduziert auf eine jährliche Umsatzsteigerung. Es wird zuweilen einfach Wachstum vereinbart, ohne die Organisation nachzuführen. Das liegt daran, dass die Differenz zwischen den Vertriebszielen und dem, was die Organisation leisten kann, nicht richtig eingeschätzt wird. Denn um diese Lücke zu schließen, sind neue Verhaltensweisen notwendig. Es sind innovative neue Angebote, optimierte Prozesse, Weiterbildungen, angepasste Provisionsmodelle oder z.B. auch Übernahmen erforderlich.
 

Woran scheitern Vertriebsziele?

Ein Kunde aus dem Healthcare-Bereich hat innerhalb eines Jahres den kompletten englischen Markt innerhalb einer Produktgruppe gewonnen. Ein Wahnsinnsergebnis und eine echte Herausforderung für die Produktion, den Service und die Vertriebsziele im nächsten Jahr. Es gab für die Hunter einfach keine neuen Kunden mehr für diese Produktgruppe in England.

Eine mittelständische Firma hat einen Big Dog eingestellt: Einen Verkäufer, dessen Stärke es ist, Großprojekte von Konzernen zu akquirieren. Das tat er so erfolgreich, dass andere Aufträge zurückgestellt werden mussten. Für das neue Jahr konnten daher seine Vertriebsziele, aufgrund seiner Fähigkeiten, nicht einfach weitergeführt werden. Sie mussten komplett überarbeitet werden. 

Hier fangen die Probleme an: Es ist einfach, sich im hektischen Tagesgeschäft von rosigen Zielfortschreibungen täuschen zu lassen, die sich bei einer disziplinierten Analyse als nicht praktikabel erweisen.
 

Doch wie überprüfen Sie die Realisierbarkeit der zu vereinbarenden Ziele?

Eine Möglichkeit ist die Nutzung eines Leistungsmesssystems, einer Balanced Scorecard (BSC) für die Definition und das Management der vertrieblichen Ziele. Im Gegensatz zu den rein finanziellen Parametern, die bevorzugt zur Bewertung von vertrieblichen Maßnahmen herangezogen werden, wie Deckungsbeitrag, finanziellen Aufwand für die Neukundengewinnung oder Umsatzwachstum, berücksichtigt die BSC auch andere vertriebliche Größen wie Kundentreue und interne Prozesse. Entwickelt wurde dieses mehrstufige System von Key-Performance-Indikatoren von den beiden amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Robert S. Kaplan und David P. Norton Anfang der 1990er Jahre. Das Wort "balanced" beschreibt die ausgewogene Berücksichtigung der verschiedenen Sichtweisen/Perspektiven eines Unternehmens bei der Bewertung.
 

Wie erstellen Sie eine vertriebliche Balanced Scorecard?

Sie kann sowohl von der Vertriebsleitung oder auch als operatives Instrument von einem Vertriebsmitarbeiter genutzt werden.  Die Balanced Scorecard unterstützt Sie bei der Entwicklung und Erreichung der strategischen und operativen Vertriebsziele.

Auf Grundlage Ihrer vertrieblichen Ziele, Vorgaben und Messgrößen entwickeln Sie konkrete Maßnahmen, um die von Ihnen gesetzten Ziele zu erreichen. Klassischerweise enthält die Balanced Scorecard vier Perspektiven. Neben der finanziellen Perspektive sind dies die Kundenperspektive, die Qualität der internen Prozesse (Prozessperspektive) und die technische und vertriebliche Entwicklung von Ihnen selbst oder Ihren Vertriebsmitarbeitern.

Eine der großen Herausforderungen ist es, die Messgrößen für die Identifikation der Zielwerte zu definieren. Jede einzelne Messgröße kann sowohl qualitative, quantitative als auch richtungsweisende Größen aufweisen. Insbesondere auch die Messgrößen für die Zwischenziele, denn es macht Sinn, die vertrieblichen Jahresziele in Monats- und Wochenziele, also in Entwicklungsschritte herunterzubrechen. Studien haben gezeigt, dass es motivierend und dienlich ist, wenn spätestens alle drei Arbeitstage ein konkretes vertriebliches Ziel erreicht wird.

Mit der BSC gelingt es Ihnen leichter, sich vertrieblich kontinuierlich zu verbessern, da Sie nicht nur eine Perspektive in den Blick rücken, sondern einen ausgewogenen Überblick behalten. Dies ist wichtig, da sich die Ziele und dafür benötigten Maßnahmen gegenseitig beeinflussen.  Einfach gesagt, beinhaltet die BSC eine Visualisierung der Ziele, Vorgaben und grundlegenden Maßnahmen in einem Dashboard, um die Umsetzung der vertrieblichen Belange aktiv zu unterstützen. Die vertriebliche BSC kann mit übergreifenden Balanced Scorecards verknüpft werden.

Im Folgenden erhalten Sie Beispiele für Leistungsindikatoren, die in den Perspektiven der vertrieblichen Balanced Scorecard verwendet werden könnten.
 

Finanzperspektive

Der Ertrag pro Kunde aus dem Segment xx, soll um 8% gesteigert werden, durch den ergänzenden Verkauf des Servicepaketes.

Die Kosten pro verkaufter Einheit des Massenproduktes ABC sollen um 80 Euro gesenkt werden.
 

Kundenperspektive

Kunde 1 und Kunde 3 sollen zu  A-Kunden weiterentwickelt werden.

Im dritten Quartal soll die Beziehung zu den Kunden M & F soweit vertieft werden, dass wir bei zukünftigen Ausschreibungen, den Ausschreibungstext mitgestalten können.

Bei den Kunden G & H sollen bis Juli auch aus den Nachbarabteilungen der jeweils erste Auftrag gewonnen sein.
 

Prozessperspektive

Definition der Meilensteine beim Akquiseprozess mit dem Ziel, die Einarbeitung von neuen Vertriebsmitarbeitern um 2 Tage zu verkürzen. Als Grundlage wird die Herangehensweise der drei besten Verkäufer analysiert.

Die Angebotslegung wird so weiterentwickelt, dass sie jeweils eine „Good-enough“-Variante und eine „All-In“-Variante beinhaltet.

Der Akquiseprozess soll so umgearbeitet werden, dass die durchschnittliche Akquisezeit von 7 Monaten auf 5 Monate reduziert wird.
 

Entwicklungsperspektive

Verhältnis zwischen Umsatz alter Produktgruppe und Umsatz neuer Produktgruppe.

Vertriebstraining mit dem Ziel, die Bedürfnisse/Wünsche der verschiedenen Stakeholder im Buying Center besser zu erkennen und miteinander zu verzahnen. Messgröße ist die Verringerung der fachlichen Kontroversen, in den nachfolgenden Vertriebsschritten.

Erarbeitung einer erweiterten Provisionsregel, welche den Auslieferungsengpass im nächsten Jahr so berücksichtigt, dass die Hunter die Durststrecke ohne zu kündigen mitgehen.
 

Gegenseitige Beeinflussung der Perspektiven

Die vier Perspektiven der BSC beeinflussen sich natürlich gegenseitig. Wenn Sie beispielsweise die Perspektive der internen Vertriebsprozesse einnehmen und den Akquiseprozess optimieren möchten, hat dies Einfluss auf die benötigten Kompetenzen der Mitarbeiter und die finanziellen Ertragsziele und benötigten Ressourcen. Entweder steigt dadurch z.B. der Umsatz oder es wird der Ertrag optimiert durch z.B. eine Verringerung der benötigten Reisezeiten/-kosten aufgrund verbesserter Vertriebsprozesse.

Selbstverständlich ist es dienlich, die einzelnen Ziele auch bei der Nutzung einer Balanced Scorecard SMART zu definieren und die Erfahrung der Vertriebsmitarbeiter einzubeziehen:

„Im Geschäftsjahr 2022 sollen 50 Einheiten des Produktes x im Gebiet Bayern verkauft werden. Der kumulierte Deckungsbeitrag der 50 Einheiten soll mindestens 15 Millionen betragen, wobei 20 Millionen Euro Deckungsbeitrag für die Erreichung des Provisionszieles erforderlich sind. Hierfür sind im Durchschnitt zwischen 70 und 98 Angebote zu schreiben. Dafür wiederum wurden im letzten Jahr ca. 150 Termine benötigt und 300 Telefonate, um diese zu erreichen.

Vom 01.04. bis zum 31.08. soll mit 10 Bestandskunden des Segmentes Battery2 ein Upselling-Umsatz von 500.000 Euro generiert werden. Der zusätzliche Umsatz soll durch Telefonate und Online-Meetings gewonnen werden. Unterstützend gibt es die Aktion Battery2/2, die über den Newsletter kommuniziert wird. Sie erhalten ergänzend 7 Posts für Ihren LinkedIn-Kanal.
 

Was ist, wenn die Vertriebsziele zu hoch gestecktt sind?

Wenn Sie während des Jahres als Verkäufer den Eindruck gewinnen, dass Ihre Ziele nicht erreichbar sind, dann suchen Sie als erstes den Schulterschluss mit Ihren besten Kollegen. Bitte warten Sie dafür nicht bis zum dritten Quartal, sondern beginnen Sie damit bereits nach dem ersten Monat. Wie bewältigen Ihre Kollegen die Vertriebsziele?  Im Vertrieb ist z.B. die Drehzahl ein wichtiger Faktor für den Erfolg und der Umgang mit den unvermeidbaren Niederlagen. Vielleicht haben Ihre Kollegen Tipps oder nutzen andere Herangehensweisen für die Zielerreichung. Möglicherweise gelingt es noch nicht den wirtschaftlichen Mehrwert Ihrer Lösung aufzuzeigen. Seien Sie dankbar, wenn Ihnen die Kollegen ihre echten „Geheimnisse“ verraten. Dies ist nicht selbstverständlich und mehr als ein Mittagessen bei der Pommesbude wert. Möglicherweise dürfen Sie sogar einmal zu einem Termin mitfahren und zuhören, was einen großen Vertrauensbeweis Ihnen gegenüber darstellt.

Wenn Sie konkrete Gründe haben, weil ein guter Kunde abgewandert ist oder Ihre Sales Skills ergänzt werden müssen oder Sie die Ziele nicht verstehen, dann suchen Sie bitte kurzfristig das Gespräch mit dem Vertriebsleiter. Auch der Vertriebsleiter muss seine Vorgaben erreichen und ist offen für gemeinsame Lösungen mit Ihnen.
 

Maßnahmen für den Vertriebsleiter, wenn Vertriebsziele nicht zu erreichen sind

Gerade bei Wachstumszielen, scheitern regelmäßig die alten bewährten Verhaltensweisen. Wenn ein Vertriebsmitarbeiter von seinen Zielen abweicht, gilt es kurzfristig zu agieren.  Nicht um in der Wunde zu bohren, sondern um mit dem Mitarbeiter konstruktiv Lösungen für die Zielerreichung zu finden. Entwickeln Sie dabei gute Antennen, denn Menschen neigen aus Scham oder Angst dazu, Misserfolge schönzureden. Daher benötigen Sie klare messbare Ziele und kurzfristige Zwischenziele. Preschen Sie im Mitarbeitergespräch nicht mit Ihren eigenen Ideen oder den Herangehensweisen der Top-Performer vor, sondern fragen Sie zunächst den Mitarbeiter, was er benötigt, um das Ziel zu erreichen. Und was es für ihn bedeuten würde, wenn er das Ziel erreicht? Bitten Sie ihn unvoreingenommen und wohlwollend um seine Ideen. Menschen akzeptieren eigene Ideen besser als vorgegebene oder aufgezwungene. Sie kennen das von Kunden. Letztendlich gilt es Konsequenzen zu ziehen, wenn jemand nicht will bzw. nicht führbar ist, denn der Job eines Verkäufers ist zu verkaufen. Mitunter sind die Vertriebsziele einfach auch nicht mit den aktuellen Ressourcen und Strukturen machbar, dann gilt es das Vertriebskonzept komplett zu überarbeiten.

Michael Kolb, Fairbrain – Vertriebslösungen, Senden
„Vertrieb hat nichts mit Tschakka zu tun oder mit anhauen, umhauen und abhauen. Verkäufer führen Menschen zu wertvollen, dienlichen Entscheidungen und generieren damit ein Einkommen für die Mitarbeiter des Arbeitgebers und für sich selbst. Daher finde ich, dass ein starker Vertrieb klasse ist.“

Über den Autor

Dipl.-Ing. Michael Kolb ist Vertriebstrainer und zertifizierter Vertriebsmanager IHK und schöpft aus über 20 Jahren Vertriebserfahrung. Er unterrichtete an der DHBW Heidenheim und der Karlshochschule International University. Namhafte Unternehmen wie z. B. GE Healthcare, arvato, Bertelsmann, citel, embex, LEAG, Julius Berger International, BASF oder die Wieland-Werke setzten auf sein Know-how. Herr Kolb ist BAFA akkreditiert für den Bereich Vertrieb und unterstützt seit 1999 technische Firmen bei der Vertriebsentwicklung auch auf Fachmessen. Er ist Mitautor des Fachbuches „Erfolgsfaktor Kommunikation bei Messeauftritten“, herausgegeben von Prof. Luppold.