Akustiksimulation in der Entwicklung von Fahrzeuggetrieben

Bildquelle: Hochschule Furtwangen

Untersuchung der Getriebeakustik

Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs bringt Herausforderungen bei Fahrdynamik, Komfort und Kosten. Elektrofahrzeuge nutzen meist ein einstufiges Getriebe zur Reduzierung der hohen Drehzahl des Elektromotors, wobei jedoch die Geräuschentwicklung durch die Antriebseinheit aufgrund hoher Drehzahlen deutlich wahrnehmbar ist. Die Autoren berechnen das dynamische Verhalten des Getriebes mithilfe einer 1D-Simulation und koppeln diese mit 3D-FEM-Berechnungen. Dies ermöglicht eine detaillierte akustische Analyse, die im Beitrag vorgestellt wird.
 

Die Verwendung von Getrieben im Elektrofahrzeug ermöglicht den Einsatz leichterer Elektromotoren mit höheren Drehzahlen. Diese hohen Drehzahlen führen zu einer Zunahme der tatsächlichen Getriebegeräusche und deren Wahrnehmung durch den Fahrer oder die Fahrerin. Insbesondere der Zahneingriff stellt eine potentielle Geräuschquelle dar, die bereits früh in der Entwicklung berücksichtigt werden muss [1, 2].
 

Top-down Validierung

Eine wesentliche Herausforderung besteht in der Bereitstellung mittels physischer Tests validierter virtueller Modelle. Diese virtuellen Modelle finden in den frühen Phasen der Produktentwicklung Anwendung, um sowohl die akustischen als auch die Effizienzmerkmale zu bewerten. Dafür wird das zu untersuchende System in mehrere Validierungsebenen aufgeteilt, die im vorliegenden Beispiel aus Gesamtfahrzeug, Antriebseinheit, und Zahneingriff bestehen [2]. Auf der Ebene des Zahneingriffs sollen Zahnräder identifiziert werden, die sowohl hinsichtlich der Schallemission als auch des Wirkungsgrads optimiert sind.
 

Modell-Implementierung

Zu diesem Zweck wird eine modellbasierte Validierungsumgebung eingeführt, wie sie in Abbildung 1 dargestellt ist. Die Abbildung veranschaulicht die Unterteilung in eine physische und eine virtuelle Domäne, wobei die Validierung als wechselseitiger Abgleich beider Domänen stattfindet.

Abbildung 1: Modellbasierte Validierungsumgebung

Die virtuelle Domäne setzt sich aus 1D-Simulation und Finite-Elemente-Berechnungen zusammen, wobei die physische Domäne die realen Bauteile und einen Prüfstand für Zahnradpaare unter Last und hoher Drehzahl umfasst. Auf dem Prüfstand erfolgt eine Bewertung eines Satzes von Schrägstirnrädern in einem vereinfachten Getriebe.

Die Parameter der Zahnräder aus der Verzahnungsberechnung dienen als Fertigungsparameter für die physische Domäne und gleichzeitig als Eingangsgröße für die virtuelle Domäne, die in der 1D-Simulation zusätzlich mit weiteren Systemparametern ergänzt wird.
 

1D-Getriebemodell

Die 1D-Simulation findet zur Evaluierung des dynamischen Verhaltens des aus einem Zahnradpaar bestehenden Systems Anwendung. In dem Modell werden wesentliche Parameter des Antriebssystems einbezogen, wobei unter anderem die Trägheit und Steifigkeit der Motor- und Getriebewellen sowie der Kupplungen Berücksichtigung findet. Der Zahneingriff wird als Feder-Dämpfer angenommen, dessen Kennlinien maßgeblich von der Eingriffssteifigkeit beeinflusst werden. Die Simulation beinhaltet sowohl eine rotatorische als auch eine translatorische Komponente. Letztere findet Anwendung bei der Berechnung der Lagerreaktionskräfte, welche auf Basis der durch den Zahneingriff erzeugten Kräfte ermittelt werden. Die Lager werden als Feder-Dämpfer-Elemente implementiert und enthalten detaillierte Lager-Parameter. Aus dem Verlauf der Steifigkeit über dem Zahneingriff resultiert eine ungleichförmige Abtriebsdrehzahl, welche zu einer dynamischen Reaktion des Systems führt. Folglich werden die bei der Berechnung des Zahneingriffs ermittelten Anregungen an die Lagerstellen übertragen, von wo aus sie schließlich an das Getriebegehäuse in der 3D-Simulation weitergegeben werden.
 

3D-FEM Akustiksimulation

Durch die Kombination des dynamischen Strukturverhaltens mit den durch die 1D-Simulation berechneten dynamischen Anregungskräften lässt sich die Frequenzantwort des Getriebes sowie die Schallemissionen, einschließlich Luft- und Körperschall, abschätzen. Konkret werden diese Kräfte als dynamische Last in einer Frequenzantwortanalyse mit modaler Superposition implementiert. Die erforderliche modale Dämpfung wird experimentell bestimmt. Im Anschluss kann eine Simulation des Luftschalls durchgeführt werden. Die in der Frequenzantwortanalyse berechneten Oberflächenschellen dienen mittels Abstrahlkoeffizienten der Bestimmung des Schalldruckpegels in der Fluid-Domäne.
 

Physische Validierung

Das Ziel der physischen Tests ist die Validierung der virtuellen Modelle des Zahneingriffs bzw. der Akustiksimulation. Zur Validierung der Simulationsergebnisse der Eigenfrequenzen werden Modalanalysen an den Prüfstandskomponenten durchgeführt. Im Rahmen dieser Untersuchung wird der gesamte Prüfaufbau berücksichtigt und dessen Eigenfrequenzen in einem Campbell-Diagramm gemeinsam mit den drehzahlabhängigen Größen über der Drehzahl dargestellt, vgl. Abbildung 2 (links).

Die Versuchsparameter für die weiterführende Studie umfassen einen Hochlauf bis 5.000 min-1 bei einem konstanten Drehmoment. Die Ergebnisse der Körperschall-Untersuchungen am realen Prüfstand werden anhand eines Campbell-Diagramms in Abbildung 2 (rechts) gezeigt. In einem nächsten Schritt erfolgt ein Abgleich der simulierten Körperschall-Ergebnisse mit den am Prüfstand erfassten Messdaten.

Abbildung 2: Virtuelles (links) und gemessenes (rechts) Campbell-Diagramm

Abschließend erfolgt ein Vergleich des simulierten Luftschalls (Schalldruckpegel) mit den Ergebnissen von Mikrofonmessungen aus der physischen Domäne. Ergebnisse hierfür liegen derzeit noch nicht vor, Vorversuche zeigen jedoch eine gute Übereinstimmung.
 

Fazit

Das vorgestellte Vorgehen ermöglicht es, mithilfe virtueller Modelle eine Aussage über die akustischen Eigenschaften eines Getriebes zu treffen. Mit der Kombination aus 1D-Simulationsergebnissen und 3D-FEM-B+erechnungen lässt sich die Anpassung von Zahnradparametern mit der Auswirkung auf die Akustik verbinden. Eine Berechnung im Frequenzbereich zeigt hierbei eine gute Ergebnisqualität bei moderater Rechenzeit. Die hier vorgestellte Methode soll bei der Entwicklung und Validierung zukünftiger Antriebssysteme helfen.

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Über die Autoren:

Prof. Dr.-Ing. Steffen Jäger, Institut für Produkt- und Service-Engineering, Hochschule Furtwangen

Seit 2018 ist Steffen Jäger Professor an der Hochschule Furtwangen. Er leitet die Forschungsgruppe Antriebssystem- und Maschinenvalidierung und das Antriebstechnik-Labor der Hochschule. Sein Lehrschwerpunkt ist die Entwicklungs- und Konstruktionsmethodik. Nach seiner Promotion in der Forschungsgruppe Antriebssysteme am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) arbeitete er in einem von ihm mitbegründeten Spin-off. Der Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeit liegt in der Produktentwicklung sowie in der Validierung von Antriebssystemen und deren Komponenten.

M.Sc. Tilmann Linde, Institut für Produkt- und Service-Engineering, Hochschule Furtwangen

Tilmann Linde ist seit 2021 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Furtwangen tätig und hat einen Master of Science in Maschinenbau an der Universität Stuttgart erworben. Er ist Mitglied der Forschungsgruppe von Prof. Jäger, wobei seine Forschungsschwerpunkte in den Bereichen Entwicklung und Simulation mechanischer Systeme liegen.

Quellen

  • Garambois, P.; Perret-Liaudet, J.; Rigaud, E. NVH robust optimization of gear macro and microgeometries using an efficient tooth contact model. Mechanism and Machine Theory 2017, 117, 78–95, doi:10.1016/j.mechmachtheory.2017.07.008.
  • Jäger, S.; Linde, T. Topology optimization of gearbox components to reduce weight and improve the noise emission and efficiency of an eDrive with multi-speed gearbox. In Proceedings of 14th International Expert Forum: Conference on electric vehicle drives and e-mobility. Wolfsburg, 21.-22.09.2022; FVA - Forschungsvereinigung Antriebstechnik e.V., Ed., 2022; pp 57–65.
  • Jäger, S.; Linde, T.; Schulz, K. von. Product Development Methodology Targeting Efficiency and Acoustics of E-Mobility Gearboxes. Tribologie und Schmierungstechnik 2024, 71.2024(2), pp. 33-41, doi:10.24053/TuS-2024-0010.