3. VDI-Fachkonferenz „Der Digitale Zwilling in der industriellen Wertschöpfung“

Am 5. und 6. November 2024 fand die vom VDI Wissensforum veranstaltete 3. VDI-Fachkonferenz zum Thema „Der Digitale Zwilling in der industriellen Wertschöpfung“ in Nürtingen bei Stuttgart unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Rainer Stark, Fachgebietsleiter Industrielle Informationstechnik an der Technischen Universität Berlin, statt. Die Bedeutung Digitaler Zwillinge für Unternehmen zeigt sich in dem großen Interesse an diesem Thema, jedoch stellt ihre erfolgreiche Umsetzung und Integration in die Unternehmensstrategie eine Herausforderung dar. Die Fachkonferenz widmete sich im Rahmen von 15 Fachbeiträgen sowie einer Podiumsdiskussion zentralen Fragestellungen wie: „Wie können Digitale Zwillinge im Unternehmen erfolgreich implementiert werden?“, „Welche Anwendungsbeispiele aus der Praxis gibt es?“, „Welche Bedeutung haben Standards wie die Verwaltungsschale?“ und auch „Welche rechtlichen Herausforderungen gilt es zu meistern?“.

Das Konzept der Digitalen Zwillinge ist inzwischen seit einigen Jahren in vielen Unternehmen präsent. Verschiedene Quellen prognostizieren, dass der Markt für Digitale Zwillinge in den kommenden Jahren erheblich wachsen wird. Dennoch besteht nach wie vor kein einheitliches Verständnis von Digitalen Zwillingen. Während Digitale Zwillinge prinzipiell aus der Verknüpfung digitaler Modelle mit Daten bestehen, liegt der Fokus in der Praxis häufig entweder auf der Modellierung oder auf den Daten. Die vielfältigen Potentiale – von Effizienzsteigerungen bis hin zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle – zeigte sich jedoch auf der Fachkonferenz als unumstritten.

Digitale Zwillinge können über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg für verschiedenste Anwendungsfälle zum Einsatz kommen. Auf der Fachkonferenz wurden unter anderem Anwendungsbeispiele aus dem Bereich der virtuellen Inbetriebnahme, Absicherung von Sicherheitskonzepten, Optimierung des Betriebs, vorausschauende Wartung sowie Datenbereitstellung zur Berechnung des Product Carbon Footprint vorgestellt. Die Ausprägungsformen Digitaler Zwillinge können dabei stark variieren, zum Beispiel in Bezug auf den Skalierungsgrad (von einzelnen Komponenten bis hin zu ganzen Netzwerken) und das Intelligenzlevel (von einfacher Datenvisualisierung bis hin zur autonomen Optimierung).

Im Verlauf der Fachkonferenz wurden Faktoren für die erfolgreiche Implementierung Digitaler Zwillinge identifiziert. Insbesondere wurde herausgestellt, dass der gewählte Anwendungsfall bzw. die Lebenszyklusphase eine entscheidende Rolle spielt. Ein klar definierter Anwendungsfall ist essenziell, um den angestrebten Mehrwert bzw. das Nutzenversprechen zu erzielen. Zur Minimierung des Implementierungsaufwands sowie der Risiken empfiehlt sich ein schrittweises Vorgehen, um nach und nach das Konzept des Digitalen Zwillings auf weitere Anwendungsfälle bzw. -felder auszuweiten. Diese Vorgehensweise ermöglicht es, wertvolle Erfahrungen zu sammeln und die Lösung kontinuierlich zu optimieren.

Darüber hinaus setzt eine erfolgreiche Implementierung die Verfügbarkeit und das Verständnis relevanter Daten voraus. In Unternehmen existiert aufgrund historischer Entwicklungen häufig eine Vielzahl an Datenquellen, die ohne klare Struktur, Dokumentation und Verknüpfung schwer nutzbar sind. Eine mangelnde Dokumentation erschwert nicht nur die Auffindbarkeit und Interpretation der Daten, sondern verhindert auch eine gewinnbringende Verknüpfung und Nutzung. Eine klare Beschreibung und Strukturierung der Daten ist daher unerlässlich, um die Grundlage für effiziente Digitale Zwillinge zu schaffen.

Ein zentraler Ansatz zur Bewältigung dieser Herausforderungen sind Data Spaces - standardisierte, dezentrale Datenräume. Sie ermöglichen einen sicheren Datenaustausch zwischen Akteuren und fördern so die Interoperabilität. Insbesondere bietet die semantische Verknüpfung von Daten innerhalb dieser Räume Möglichkeiten, den Datenaustausch und die Wiederverwendbarkeit von Informationen zu verbessern. Ihr Aufbau erfordert jedoch erhebliche Investitionen, technische Standards und rechtliche Rahmenbedingungen. Standardisierungsansätze wie die Verwaltungsschale spielen hierbei eine zentrale Rolle. Großes Interesse an dem Thema Verwaltungsschale wurde im Rahmen des Spezialtages deutlich, welcher am Vortag der Fachkonferenz unter dem Titel „Einführung in die Asset Administration Shell - von der Theorie in die Praxis“ stattfand.

Ein wesentliches Hindernis bei der Standardisierung Digitaler Zwillinge liegt in der Vielfalt der Software- und IT-Landschaften. Da die Anforderungen je nach Branche, Unternehmen und Projekt variieren, ist eine universelle „One-size-fits-all“-Lösung nicht realisierbar. Diese Heterogenität macht die Entwicklung einheitlicher Standards für die Architektur Digitaler Zwillinge besonders anspruchsvoll.

Der Bedarf einer Möglichkeit den wirtschaftlichen Mehrwert von Digitalen Zwillingen ermitteln zu können wurde im Verlauf der Fachkonferenz mehrfach festgestellt. Erste Ansätze hierzu wurden bereits im Rahmen der Veranstaltung vorgestellt. Jedoch gestaltet sich eine solche Bewertung als besonders herausfordernd, wenn ein Unternehmen Investitionen tätigen muss, damit ein anderer Partner entlang des Produktlebenszyklus davon profitieren kann – dies betrifft zum Beispiel die Dokumentation und Bereitstellung von Daten. In solchen Fällen ist es entscheidend, Win-win-Situationen zu schaffen, bei denen alle Beteiligten gleichermaßen von den Investitionen profitieren können. Darüber hinaus wurde intensiv und durchaus vielschichtig diskutiert, in welchen Fällen es zielführender ist einen Digitalen Zwilling als „separates Produkt“ oder eher als „zusätzlichen Service“ am Markt anzubieten.

Ein weiterer zentraler Aspekt der Fachkonferenz war die essenzielle Rolle des Menschen bei der Implementierung Digitaler Zwillinge. Digitale Zwillinge sollten so gestaltet sein, dass sie das Erfahrungswissen und das Fach-Know-how der Mitarbeitenden integrieren und nutzbar machen. Diese menschenzentrierte Ausrichtung ist maßgeblich, um die Akzeptanz im Unternehmen zu fördern und den vollen Mehrwert dieser Technologie auszuschöpfen.

Bei der Implementierung und Nutzung Digitaler Zwillinge bleiben häufig eine Vielzahl juristisch relevanter Aspekte unberücksichtigt. Ein zentraler Aspekt ist die gesetzliche Compliance, also die Frage, ob zwingende gesetzliche Regelungen bestehen, wie beispielsweise im Bereich des Datenschutzes oder des Kartellrechts. Darüber hinaus ist die vertragliche Ausgestaltung von großer Bedeutung. Es muss geklärt werden, was mit Dritten vertraglich geregelt werden muss, etwa im Hinblick auf die sogenannte Datenlizenz. Auch hier gibt es keinen universellen „One-size-fits-all“-Ansatz. Vielmehr muss jede Situation individuell bewertet und gestaltet werden, um den spezifischen rechtlichen Anforderungen gerecht zu werden. Insbesondere sind auch die Auswirkungen des EU Data Acts hinsichtlich der Bereitstellung von operativen Daten bei IoT (Internet of Things) Systemen als Bestandteil des Digitalen Schattens eines Digitalen Zwillings zu beachten.

Zusammenfassend bieten Digitale Zwillinge immense Potentiale, erfordern jedoch sorgfältige Planung, Standardisierung und Zusammenarbeit. Klare Anwendungsfälle und schrittweise Implementierungen minimieren Risiken. Standards und datengetriebene Ökosysteme sind zentral für ihren Erfolg. Weiterer Forschungsbedarf besteht, um ökonomische Potentiale besser zu erschließen und praktische Herausforderungen zu bewältigen. Die etablierte VDI-Fachkonferenz „Der Digitale Zwilling in der industriellen Wertschöpfung“ wird hierzu in den nächsten Jahren entscheidende Impulse liefern.

Aktuell befindet sich die 4. Fachkonferenz, welche vom 8.-9. Oktober 2025 in Frankfurt am Main stattfinden wird, in der Vorbereitung. Hier wird es die Möglichkeit geben vorhandenes Wissen rund um Digitale Zwillinge zu vertiefen, neue Einblicke in praxisorientierte Anwendungen zu gewinnen und in einem Netzwerk von Expert*innen bereichernde Diskussionen zu führen.

Weiter Informationen zur Konferenz finden Sie hier: Der Digitale Zwilling in der industriellen Wertschöpfung

Autoren und Kontaktdaten

Prof. Dr.-Ing. Rainer Stark
Fachgebiet Industrielle Informationstechnik
Technische Universität Berlin
Fachgebietsleiter

Internetseite: https://www.tu.berlin/iit
Adresse: Pascalstraße 8–9, 10587 Berlin

M. Sc. Svenja Nicole Schulte
Fachgebiet Industrielle Informationstechnik
Technische Universität Berlin
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Email: svenja.schulte@tu-berlin.de